Glücklicher Narr oder trauriger Realist?

Glücklicher Narr oder trauriger Realist?

Zum 80. Geburtstag Woody Allens am 1. Dezember

Woody Allen, geboren 1935 als Allen Stewart Königsberg in New York, gehört immer noch zu den wichtigsten Filmemachern der USA. Aus dieser Altersgruppe der weit fortgeschrittenen Senioren unter den Filmhandwerkern fällt einem eigentlich sonst nur noch Clint Eastwood ein, der sogar noch fünf Jahre älter ist. Beide haben bisher vier „Oscars“ für ihre Filme bzw. Drehbücher erhalten. Allen erhielt die Auszeichnung zuletzt 2011 für Midnight in Paris. Mehrfach nahmen auch seine Schauspieler die begehrteste Trophäe Hollywoods mit wie z.B. für Rollen in Allens Bullets over Broadway (1996). Allen hingegen selbst scheut das Medienspektakel der Oscarverleihung wie überhaupt die Filmmetropole am Pazifik – fast alle seine Filme entstanden in der Heimatstadt New York, die er nur ungern verlässt. Seit einigen Jahren filmt Allen nun aber auch gerne in Europa.

In New York begann Allen in den 50er Jahren seine Karriere als Gag-Schreiber; seit 1961 trat er selbst als Komiker in Shows auf. 1964 wurde eine erste Filmkomödie nach seinem Drehbuch produziert, 1969 stand Allen das erste Mal als Regisseur hinter der Kamera (Take the Money and Run). Über 50 Streifen kamen bis heute insgesamt hinzu. Mit schöner Regelmäßigkeit liefert Allen einen pro jahr ab.

In den 70er Jahren reihten sich die Komödien (in denen Allen immer selbst mitspielte) wie Everything You Wanted to Know About Sex (But Were Afraid to Ask) aneinander, die ihn berühmt machten und bis heute das Bild des traurig dreinblickenden Juden mit Brille prägen. Bald jedoch zeigte sich Allen auch von der ernsteren Seite: Schon in Love and Death (1975) sprach er existentielle Themen an; und in Werken wie Interiors (1978), Stardust Memories (1980), Another Women (1988) und Shadows and Fog (1992) ist der Komiker Allen nicht mehr wiederzuerkennen – persönliche Probleme, gestörte Beziehungen, düstere Stimmungen prägen weitgehend die Streifen. Erkennbar werden in ihnen die europäischen Vorbilder Allens: Fellini und vor allem Bergman.

Kein Wunder, dass Allens Werke in den USA nie zu wirklichen Rennern wurden. Selbst so geniale Filme wie Husbands and Wives (1992) oder die lustige und spannende Komödie Manhattan Murder Mistery und der musikalische und leichte Streifen Everybody Says: I Love You (1997, immerhin mit Stars wie Julia Roberts) spielten in den USA kaum die Hälfte der Kosten ein – Allen ist in Europa wesentlich beliebter als in seiner Heimat. Ab und an trifft er aber auch einen breiteren Publikumsgeschmack wie mit To Rome With Love (2012). In den letzten Jahren wurden auch Vicky Christina Barcelona (2008) und Blue Jasmine (2013) gut aufgenommen, nicht zuletzt wegen hervorragender Leistung der prominenten Schauspieler.

Unlösbare Fragen

Der Komiker, Menschenkenner, Regisseur und Gottessucher Allen untersucht in seinen Filmen eigentlich immer die gleichen Themen. Es geht um menschliche Beziehungen und Liebe wie in Manhattan (1979) oder Hannah und ihre Schwestern (1986); um die Wirklichkeit und was ihr Wesen ausmacht und ob es ‘dahinter’ noch etwas gibt wie in The Purple Rose of Cairo (1985) und Magic in the Moonlight (2014, dazu gleich mehr); und es geht um Moral und Gott wie in Verbrechen und andere Kleinigkeiten (1989) oder Match Point (2005).

Manche Themen verfolgen Allen geradazu, denn er gibt als Motiv für sein Schaffen eine Art Besessenheit an, die „Besessenheit vom Tod, die Besessenheit von Gott oder dem Fehlen Gottes, die Frage danach, warum wir hier sind. Antworten will ich, das ist alles.“ Oft gelingt es ihm, das Schwierige in Worte zu kleiden, weil er ungewohnte, ja vielleicht für manche unzulässige Querverbindungen herstellt: „Es gibt nicht nur keinen Gott, sondern versuch mal, am Wochenende in Manhattan einen Klempner zu kriegen.“ Oder: „Ich glaube an kein Leben nach dem Tod, obwohl ich immer Unterwäsche zum Wechseln bei mir habe.“

In Magic in the Moonlight fällt gleich in der ersten Szene der Name des britischen Philosophen Thomas Hobbes (17 Jhdt.), und auch Freud und Nietzsche finden regelmäßig Erwähnung bei ihm. Diese persönliche Mixtur seiner philosophischen Vorbilder und Inspirationsquellen ist über die Jahre so gut wie unverändert geblieben. Dabei zieht er gerne alles durch den Kakao wie hier in einem seiner Texte: „Ich belegte am College alle Kurse in abstrakter Philosophie, zum Beispiel Wahrheit und Schönheit, Wahrheit und Schönheit für Fortgeschrittene, Wahrheit für mittlere Semester, Einführung in Gott, Tod für Erstsemester. Ich wurde im ersten Jahr aus der NYU hinausgeschmissen. Hatte bei meiner Metaphysikprüfung gemogelt. Ich guckte in die Seele des Jungen neben mir.“

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Oft genug wird es aber auch bitterernst wie in Verbrechen und andere Kleinigkeiten (Crimes and Misdemeanors). Dort dreht sich alles um die Frage der Schuld und Verantwortung angesichts einer Welt ohne Gott. Allen wünscht sich eine Verankerung der Ethik. Ähnlich wie Dostojewski (auf dessen Werke er immer wieder Bezug nimmt) sieht er, dass es ohne einen Fixpunkt nur Beliebigkeit und willkürliche Ausnutzung falsch verstandener Freiheit gibt. Aber er zieht nicht die gleiche Schlussfolgerung wie sein großes russisches Vorbild. Allen kann nicht an Gott glauben, er kann kein Kriterium für Gut und Böse festsetzen. Er steckt in einem ihm wohl bewussten Dilemma.

Und so bleibt ihm manchmal nichts als der vage Trost, den z.B. Cliff (dargestellt von Allen selbst, auf dem Plakat rechts) am Ende des Films direkt zum Zuschauer spricht: „Hoffentlich sehen nächste Generationen klarer.“ In einem Interview mit dem „Spiegel“ sagte er dazu einmal: „Der Film [Verbrechen] handelt von solchen Entscheidungen, vor die einen das Leben stellt. Er macht deutlich, daß man moralische Entscheidungen treffen muß. Das ist sehr wichtig. Wir alle werden ja dadurch definiert, wofür wir uns entscheiden.“ (29/1989)  Und weiter: „Es gibt ein paar philosophische Fragen, die unlösbar sind…. und die Unfähigkeit der Leute, sich mit den großen religiösen Fragen auseinanderzusetzen, ändert sich auch nicht.“

In seiner fiktiven „Ansprache an die Schulabgänger“ skizziert er die Situation in eben dieser Hinsicht: „Deutlicher als je in der Geschichte, steht die Menschheit an einem Kreuzweg. Der eine Weg führt in die Verzweiflung und äußerste Hoffnungslosigkeit, der andere in die totale Vernichtung. Beten wir um die Weisheit, die richtige Wahl zu treffen.“ Und in einem Interview 1979 – Sätze, die Allen heute wohl immer noch sagen würde: „Wir sind in einer so schwierigen und unangenehmen Situation, daß bei Nichtverdrängung der Wahrheit oft unsere geistige Gesundheit auf dem Spiel steht… Leben wäre unerträglich, wenn uns dies den ganzen Tag bewußt wäre. Bewußt auch, daß wir altern und sterben. Daß unser Herz jeden Moment zum letzten Mal schlagen könnte. Die, denen dies bewußt ist, etikettiert man mit ‘Depressive’, ‘Ängstliche’ und ‘Morbide’… Die Realität so zu sehen wie sie ist, ist nicht das Allerbeste… Wenn ich mein Leben betrachte, so besteht es hauptsächlich aus Zerstreuung, die mich daran hindern soll, an all dies zu denken.“

„Alles andere ist verrückt“

In Allens vorletztem Werk Magic in the Moonlight tauchten die alten Fragen wieder auf. Im Mittelpunkt der Handlung steht der von Colin Firth dargestellte Trickkünstler Stanley Crawford, der in den 30er Jahren als Wei Ling Su durch die europäischen Städte tourt und sogar Elefanten verschwinden lässt. Er ist fest überzeugt, dass es keinen Gott, keine unsichtbare Welt und keine Geister gibt: „alles Betrug – bis hin zum Vatikan und zum Jenseits.“ Er sieht sich wie berufen zu der an ihn herangetragenen Aufgabe, Sofie Baker (dargestellt von Emma Stone), ein spiritistisches Medium, zu entlarven. Diese bekommt regelmäßig „mentale Schwingungen“ und Eindrücke und kann so angeblich Dinge voraussehen oder auf übernatürliche Weise Informationen erhalten; und natürlich ist sie auch in der Lage, Kontakt mit Verstorbenen herzustellen. Mutter und Sohn in einer reichen amerikanischen Familie in Südfrankreich sind ihr verfallen, denn sie glauben: „es muss noch mehr als das Sichtbare geben“.

Sicherlich hatte sich Allen für den Film die Geschichte des Ungarn Harry Houdini („der Große Houdini“, 1874–1926) zum Vorbild genommen. Der berühmte Zauberkünstler wollte ebenfalls Spiritisten als Scharlatane entlarven. Eines der Medien, die Houdini entzauberte, produzierte angeblich „Ektoplasma“, das auch in Allens Film genannt wird.

„Und wenn Gott existiert?“ fragen Stanley die ‘Gläubigen’ im Film. Dieser wischt diesen Gedanken harsch beiseite. Er ist überzeugt, dass Sofie eine Scharlatanin ist, denn „es gibt keine metaphysische Welt; was man sieht, bekommen man.“ „Ich bin ein rationaler Mensch, der an eine rationale Welt glaubt; alles andere ist verrückt.“ Seine in der Provence lebende alte Tante ist da offener: „Wir wissen es nicht. Wir sind arme, begrenzte menschliche Wesen.“

Stanley, der früh im Film als „sehr unglücklicher Mensch“ bezeichnet wird, hofft dennoch, dass all das wahr wäre, denn „dunkle Wolken“ begleiten ihn seit der Kindheit. Auch er sehnt sich nach mehr Mysterium, mehr Magie, denn in seiner Weltsicht fühlt er sich „zum Tode verurteilt“; das Leben ist grausam. Bald zu Sofie: „Wo warst du in meinem ganzen Leben?“ Von ihren Fähigkeiten beeindruckt (und gleich in sie verliebt) kommt der Zauberprofi schließlich zur Überzeugung, dass Sofie ein echtes Medium ist.

Seine betagte Tante gerät in einen Unfall und landet in einem Krankenhaus. Sie droht ihren Verletzungen zu erliegen. Stanley wird in einen Warteraum mit Kreuz geführt. Sein Begleiter meint, dass man nun nur noch beten könne. Stanley daraufhin: „Die Macht des Gebets – ich habe mich immer darüber lustig gemacht.“ Doch dann beginnt auch er, am Tisch sitzend und die Hände gefaltet: „Ich weiß nicht, ob du mich hören kannst…“ Stanley bekennt, dass sein Leben nicht immer beispielhaft war; und er war nicht nur ein Skeptiker und Ungläubiger, sondern viel schlimmer: Er strafte die mit Verachtung, „die glauben, dass irgendwo da oben ein gütiger Vater ist.“ Für ihn war das kindisches Wunschdenken; eine Hoffnung auf Sinn und größere Bedeutung, der Wunsch, dass das Leiden Teil eines größeren Plans sei; dass wir hier auf Erden sind, um einem höheren Ideal zu dienen „und dass du wirklich bist“.

Er habe kein Recht etwas zu verlangen und kommt zur Verletzung seiner Tante. „So bitte ich, bitte ich dich…“ Und plötzlich kommt der alte Skeptiker durch: Zu Gott beten – das sei ja wohl das Allerdümmste, was er je gemacht hätte! Sein gesunder Menschenverstand, so meint er, schaltet sich wieder ein. Und nun ist er sich dennoch sicher: Sofie ist eine Betrügerin. Gott habe mit all dem nichts zu tun.

Stanley kommt der jungen Frau tatsächlich schnell auf die Schliche. All ihre Informationen bekam sie von Stanleys altem Kollegen Howard Burkan, der ihn aus Eifersucht in diese Falle laufen ließ und ihn so demütigen wollte. In einem finalen Streit prallen die Auffassungen aufeinander. „Das Leben ist nicht fair“, so Stanley, aber durch Sofie war er „für eine Weile tatsächlich glücklich“. Doch so war er „glücklich als Narr“, und schließlich sei „Glück auch nicht unser Normalzustand“. Sofie entgegnet: „Du warst glücklich und hast wenigstens einmal das Leben genossen.“ Dann kommt „der Philosoph“ (Nietzsche) ins Spiel: „Wir brauchen unsere Illusionen, um zu leben.“ Wir sind glücklicher, wenn eine Lüge uns leben lässt. Wir brauchen die Illusionen von Sinn und Jenseits und Gott. Stanley jedoch: „Wir können nicht leben und uns dabei betrügen.“ Sofie widerspricht. „Wir müssen! Wenn wir durchs Leben kommen wollen. Und wer weiß am Ende, was wirklich ist und was nicht.“

Allen konstruiert zum Schluss noch ein Happy-Ende. Wir brauchen Liebe, und auch Stanley will lieben und geliebt werden. Sein Rationalismus ist nicht alles; seine Tante stößt ihn darauf und drängt ihn, Sofie einen Antrag zu machen. Er glaubt nicht an Magie, aber ohne die Magie der Liebe kann auch er nicht leben. Allens altes Glaubensbekenntnis: Wir müssen irgendwie durch dies unfaire Leben kommen, dummerweise brauchen wir dafür diese Illusionen. Die Illusion der Liebe.

Die Liebe scheint die Antwort zu sein. Und fast jeder Film Allens dreht sich ja irgendwie darum. Aber er idealisiert auch hier nichts. Genau wissend, dass funktionierende Beziehungen von der Vergebung leben, setzt er gegen Ende von Magic in the Moonlight einen nüchternen Dialog. Kann er dem Freund Howard, der ihn so aufs Glatteis geführt hat, vergeben? Stanley: „Ich kann ihm nicht vergeben. Nur Gott kann ihm vergeben.“ „Sie sagten, es gäbe keinen Gott.“ Stanley: „Genau das wollte ich sagen.“ Ohne Gott keine wahre Vergebung, auch nicht untereinander. Das hat Allen genau verstanden.