Von der wahren Gottesverehrung

Von der wahren Gottesverehrung

In diesen Wochen wird das vierköpfige Redaktionsteam die Arbeit am Text des presbyterianischen Westminster-Bekenntnisses in litauischer Sprache beenden.  Wahrscheinlich werden dann die Reformierte Kirche Litauens und die „Wort des Glaubens“-Kirche (Tikėjimo žodis) das Bekenntnis gemeinsam herausbringen. Holger gibt in einer Einleitung auch einen Überblick zu den theologischen Akzenten im Bekenntnis. Daraus hier auf Deutsch ein erweiterter Text zur Gottesverehrung.

Gott in seiner Herrlichkeit ist wie ein Magnet, der die Geschöpfe zur Anbetung zieht. Er zieht aber nicht nur an, sondern schreibt auch vor, in welcher Weise er angebetet sein will. Denn Gott ist nicht immer erfreut, wenn er angebetet wird. Die falsche Gottesverehrung  ist schon in bei Kain und Abel in Genesis 4 Thema; es folgen zahlreiche Stellen im Alten Testament wie natürlich die Geschichte vom Goldenen Kalb (Ex 32) oder Lev 10,1–2. Götzendienst in der Bibel ist Verehrung falscher Götter und (dies sogar noch häufiger) Verehrung des einen Gottes auf diesem nicht genehme Weise. Beides wird z.B. in Dt 12,29–31 verbunden. Die Israeliten sollen nicht nur die heidnischen Götter nicht anbeten; sie sollen auch nicht deren Kulte und Formen für die Jahwe-Verehrung übernehmen: „So [oder: auf diese Weise] sollst du dem Herrn, deinem Gott, nicht dienen…“

Auch während der Reformation stand die Frage nach der rechten Gottesverehrung im Zentrum. Die Protestanten betonten erneut, dass Christus der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen ist und Gott allein verehrt werden soll. Im Westminster-Bekenntnis: „Religiöse Verehrung darf Gott, dem Vater, Sohn und Heiligen Geist, und nur ihm allein entgegengebracht werden, und nicht Engeln, Heiligen oder irgendwelchen anderen Geschöpfen. Sie darf seit dem Sündenfall nicht ohne einen Mittler geschehen und auch nicht durch die Vermittlung irgendeines anderen als durch Christus allein.“ (21,2; hier und im Folgenden T. Schirrmachers Übersetzung aus Der evangelische Glaube kompakt)

Die Reformierten führten die jüdische Gliederung der Zehn Gebote wieder ein, unterschieden daher das erste und zweite Gebot, das bei Katholiken und Lutheranern ein einziges bildet. G.I. Williamson dazu: „Das erste Gebot informiert uns über das wahre Objekt der Verehrung, das zweite weist auf die wahre Art und Weise der Anbetung hin.“ (Heidelberg Catechism: A Study Guide) Über diese Art und Weise heißt es gleich zu Beginn des 21. Kapitels im Westminster-Bekenntnis („Von der Gottesverehrung und dem Sabbat“):

„Aber die wohlgefällige Art der Verehrung des wahren Gottes ist von ihm selbst festgesetzt und durch seinen eigenen geoffenbarten Willen so eingegrenzt worden, dass er nicht nach den Einbildungen und Betrügereien der Menschen oder nach den Eingebungen Satans oder unter irgendeiner sichtbaren Darstellung oder auf irgendeine andere Art und Weise verehrt werden darf, die nicht in der Heiligen Schrift vorgeschrieben ist.“ (21,1)

Hier ist ganz allgemein von der Verehrung die Rede, die natürlich unser ganzes Leben bestimmen soll (1 Kor 10,31). Daneben ist das Gebet einen „besonderen Teil der religiösen Verehrung“ (21,3) darstellt. Eine besondere Rolle spielt außerdem der Gottesdienst der Gemeinde, der in Abschnitt 1 auch schon mit im Blick ist. Die öffentliche Versammlung der Christen im Gottesdienst ist nicht bloß eine Begegnung der Kinder Gottes untereinander, sondern vor allem anderen eine Begegnung des dreieinen Gottes mit seinem auserwählten Volk. Gott ist im öffentlichen Gottesdienst nicht nur aufgrund seiner Allgegenwart, sondern als Haupt des Neuen Bundes und Erlöser gegenwärtig. Sebastian Heck: „Was sich im Gottesdienst abspielt, ist deshalb in erster Linie ein vertikales Geschehen zwischen Gott und seinem Volk und nicht ein horizontales, rein zwischenmenschliches Geschehen. Die Begegnung mit dem lebendigen Gott ist primär, alles andere sekundär.“ (Gottesdienst und Liturgie – was Sie sonntags bei uns erwarten können) Daher ist der Gemeindegottesdienst, so Heck, auch nicht in erster Linie eine evangelistische Veranstaltung. „Der Gottesdienst ist die durch einen ordinierten Diener Gottes… vermittelte Begegnung des dreieinen Gottes mit seinem Bundesvolk“, so der Pastor der SERK in Heidelberg.

Weil die öffentliche Gottesverehrung der Gemeinde so bedeutsam ist, will die nach Gottes Wort reformierte Kirche sich natürlich auch hier bewusst an der Hl. Schrift ausrichten, damit also das sola scriptura auch hier anwenden. Gerade hier gilt, „dass wir Gott in keiner Art abbilden, noch auf irgendeine andere Weise, als er in seinem Wort befohlen hat, verehren sollen“ (Heidelberger Katechismus, 96). Natürlich sehen alle Kirchen ihre Gottesverehrung in gewisser Weise im Einklang mit der Bibel. Die reformierten Kirchen betonen aber, dass man im Gottesdienst nicht alles machen dürfe, was nicht ausdrücklich verboten sei. Man will sich stärker daran orientieren, was schon in der Bibel konkret geboten und gefordert ist. Im Abschnitt 21,5 des Bekenntnisses:

„Das Lesen der Schrift mit Gottesfurcht, die gesunde Predigt, das gewissenhafte Hören des Wortes im Gehorsam gegen Gott mit Verstand, Glauben und Ehrerbietung, das Singen von Psalmen mit Gnade im Herzen, und außerdem die richtige Verwaltung und der würdige Empfang der von Christus eingesetzten Sakramente, sind alle Bestandteile der ordentlichen religiösen Verehrung Gottes.“

Diese hier genannten Elemente des Gottesdienstes – und nur sie – sollen vorkommen. Dies führt in der Praxis zum recht schlichten reformierten und presbyterianischen Gottesdienst, denn sie erhalten nur die schon in der Bibel genannten Bestandteile. Typisch evangelisch steht die Schriftlesung und Schriftauslegung an erster Stelle, denn Gott redet durch sein Wort zu uns; daraufhin antwortet die Gemeinde in Gebet, Bekenntnis und Gesang.

Manches ist auch implizit zu folgern wie z.B. das in 21,5 nicht genannte gemeinsame Schuldbekenntnis. Es ist dem Abendmahl und der Vorbereitung darauf zuzuordnen, hat aber auch grundsätzlich seinen Platz im Gottesdienst. Calvin: „Stellen wir uns doch in jeder heiligen Zusammenkunft vor Gottes und der Engel Angesicht – was sollte aber da anders der Anfang unseres Tuns sein, als die Erkenntnis unserer Unwürdigkeit?“ Er hält das Sündenbekenntnis für eine „heilsame Einrichtung“, die unbedingt geübt werden soll (Inst. III,4,11). Heute ist es selbst aus vielen reformierten Kirchen verschwunden. Dies liegt auch daran, dass allgemein wenig gefragt wird, wie Gott denn seine Verehrung gestaltet haben will; menschliche Wünsche und Neigungen geraten ins Zentrum – und wer lässt sich schon gerne regelmäßig an seine Unwürdigkeit erinnern?

„Nur, was in der Bibel vorgeschrieben ist“ wird das „regulative Prinzip der Verehrung“ oder des Gottesdienstes (regulative principle of worship) der Reformierten genannt. Sie sind sich weitgehend einig über die im Bekenntnis skizzierten Elemente. Davon werden die Umstände der konkreten Umsetzung dieser Elemente unterschieden. Diese müssen in irgendeiner Form geregelt werden, werden aber nicht explizit von der Bibel vorgeschrieben. Klassisches Beispiel ist hier der Zeitpunkt und die Zeitdauer des Gottesdienstes. So z.B. auch schon im Zweiten helvetischen Bekenntnis: „Es ist nicht nötig, dass die öffentlichen Gebete nach Form und Zeit in allen Gemeinden gleich seien. Die Gemeinden mögen da nur alle von ihrer Freiheit Gebrauch machen.“ (23,2)

Schon während der Reformation gab es aber viele Diskussionen um die Art des Gesangs und der Musik im Gottesdienst (nur Singen von Psalmen und biblischen Texten oder auch nachbiblische Dichtungen? Instrumente – ja oder nein?). Heute wird unter Reformierten erörtert, ob man die Predigt mit PowerPoint-Präsentationen, Filmen usw. ergänzen kann oder nicht. Neues Element oder nur Anpassung an neue Umstände? Hier wird letztlich immer die Diskussion geführt, was aus der Hl. Schrift begründet abzuleiten ist (s. Westminster-Bekenntnis 1,6).

Auch bei der Gottesverehrung begegnen wir also dem wichtigen Thema der Gebote und der Freiheit: Was will Gott, dass wir tun, und wo haben wir Freiheit? Hier antwortet Westminster mit der gesamtem reformierten Tradition: Gott will, dass wir diese bestimmten Elemente im Gottesdienst haben – diese und keine anderen. Darüber hinaus darf es keinen gesetzlichen Zwang geben, d.h. eine ausgefeilte Liturgie wie im Common Book of Prayer darf nicht zur bindenden Vorschrift gemacht werden (dagegen kämpften die Puritaner und schottischen Presbyterianer im 17. Jahrhundert; das bei der Westminster Assembly verabschiedete „Directory for the Public Worship of God“ ist von ganz anderem Charakter, gibt nur recht allgemeine Hinweise). Im gleichen Geist hießt es schon im Niederländischen Bekenntnis (1562): Wir „verwerfen alle menschlichen Erfindungen und alle Gesetze, welche zur Verehrung Gottes eingeführt sind“ und die das Gewissen binden wollen (36; s. auch Calvins strenge Worte in Inst. IV,10).

Der reformierte und presbyterianische Gottesdienst ist also, wie gesagt, recht schlicht, um die Freiheit der Gläubigen nicht in unbiblischer Weise einzuschränken (so auch schon Bullinger im Zweiten helvetischen Bekenntnis: „Je mehr Gebräuche sich in der Kirche anhäufen, desto mehr wird nicht nur der christlichen Freiheit, sondern auch Christus selbst und dem Glauben an ihn Abbruch getan…“, 27,1). Dies ist jedoch keinerlei Selbstzweck. Es geht letztlich auch darum, dass der Einzelne innerlich von Herzen Gott recht anbetet und verehrt, was auch die Begriffe in 21,5 gut deutlich machen (demütig, gewissenhaft, bewusst, dankbar). Zahlreiche Riten bringen die große Gefahr mit sich, dass es bei einer rein äußerlichen Verehrung bleibt. Westminster wehrt hier konkret dem Aberglauben im Hinblick auf das Gebet (21,6). Es geht darum, so noch einmal Calvin, dass die Gläubigen „mit freiem Gewissen, ohne allen Aberglauben, aber doch mit frommer und gehorsamswilliger Neigung innehalten“ und vor Gott treten (Inst. IV,10,31).