Bob Dylan und sein Held

Bob Dylan und sein Held

(Ein Beitrag aus dem Jahr 2008 anlässlich des ersten Konzerts Bob Dylans in Litauen; in litauischer Sprache hier.)

Ya either got faith or ya got unbelief and there ain’t no neutral ground.

Eines der Kennzeichen unserer Zeit ist wohl seine Geschichtsvergessenheit. Wir leben im Heute und haben kaum eine Ahnung, woher wir kommen, was uns prägte und wo unsere Wurzeln liegen. Dies gilt auch für die Pop-Musik. Moderne Rhythmen – leider meist in ihrer primitivsten Variante – dominieren Markt, Radio und MP3-Player. Doch kaum einer kennt noch die Väter des Pop und Rock. Von diesen Vätern sind die meisten schon tot. Unsterblich scheinen dagegen die Rolling Stones zu sein; weiter auf Tour ist auch Paul McCartney; Cliff Richards steht seit 1958 auf der Bühne. Und auch die „Stimme seiner Generation“, dessen Werk als das „vielseitigste und komplexeste Gesamtkunstwerk der Popkultur“ gilt, ist immer noch unterwegs: Anfang Juni 2008 gab niemand anders als der große Bob Dylan erstmals ein Gastspiel in Litauen – im Herkunftsland seiner Großeltern mütterlichseits.

Der 1941 in Minnesota geborene Robert Allen Zimmermann, der sich ab 1960 Bob Dylan nannte, begann seine musikalische Laufbahn 1961 in New York. Sein Album „The Freewheelin‘ Bob Dylan“ von 1963 und frühe Meisterwerke wie „Blowin‘ In The Wind“ (die „Hymne der Bürgerrechtsbewegung“, von der es bald 60 Coverversionen gab!) oder „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ machten Dylan schnell über die Folkszene hinaus bekannt und berühmt.

Dylans dritte Platte „The Times They Are A-Changin‘“ (1964) war von düsteren Protestsongs wie dem Antikriegslied „With God On Our Side“ oder „Only A Pawn In Their Game“ zur Rassendiskriminierung bestimmt. Der Songschreiber drückte den Geist seiner Zeit wie wohl kein anderer aus. „How does it feel / How does it feel / To be on your own / With no direction home / Like a complete unknown / Like a rolling stone?“ (Wie fühlt es sich an / Wie fühlt es sich an / Ganz allein zu sein / Ohne Richtung nach Hause / Wie ein völlig unbekannter / Wie ein umherrollender Stein) – heißt es in „Like A Rolling Stone“ (1965). 2004/2005 wurde der Song vom Magazin „Rolling Stone“ auf Platz Eins der Auswahl der „bedeutendsten und besten Rocksongs aller Zeiten“ gewählt.

Dylan war die Stimme und auch das Kind seiner Zeit. Wie die meisten der Rockgiganten in den 60ern griff er zum Drogencocktail: „Opium, Haschisch, Marihuana sind doch keine Drogen; das sind einfach nur Mittel, um dir ab und zu das Gehirn durchzublasen. Jeder braucht von Zeit zu Zeit etwas, das ihm das Gehirn richtig lüftet.“ Das Ergebnis waren bis dahin ungehörte und faszinierende Klangwelten wie der Beatles auf „Revolver“ und natürlich „Sgt. Pepper“ (1966/67); Dylans „Blonde On Blonde“ (das erste Doppel-Album der Rockgeschichte) spiegelte diesen Trend mit seiner verstörenden, unverständlichen Bilderwelt ebenfalls wieder.

Ganz anders als heute arbeitete Dylan aber nicht für einen Markt, schrieb nie Musik nach dem Geschmack des Publikums und der Fans. Er war und ist ein fast totaler Nonkonformist, der nicht zurückschreckte vor abrupten Stilwechseln. Mitte der 60er stieß er seine Folkfans mit E-Gitarre („Dylan goes electric“) und zum Teil harter Rockmusik vor den Kopf. Mehrfach verschwand er für Jahre so gut wie ganz von der Bühne (wie Ende der 60er Jahre; auch bei Woodstock 1969 trat er nicht auf – obwohl er um die Ecke wohnte). Aber das Allerschlimmste sollte noch kommen.

Die Hand Jesu

Dylans Song durchzogen von Anfang an religiöse Themen. In „Long Ago, Far Away“ (1962) erwähnt er die Kreuzigung. Im Album „New Morning“ (1970) singt er von den „Three Angels“, und der Song „Father Of The Night“ handelt offensichtlich von dem Vater im Himmel, „den wir höchst feierlich anbeten“. Der Musiker T-Bone Burnett, der Mitte der 70er zu Dylans Musikern gehörte und damals Christ wurde, berichtet über Filmaufnahmen von Dylan in den frühen sechziger Jahren. Dylan hätte schon damals an die Wahrheit der Zehn Gebote geglaubt. Burnett: „Ich würde sagen die ganze Geschichte von Bob Dylan ist die eines Mannes auf der Suche nach Gott.“ So auch Jonathan Cott: „Verbannung, Erlösung, Heil, Gerechtigkeit, Gericht, Glaube waren ständige Anliegen und Themen in seiner Arbeit… Er hat immer von Jesus gesungen, dem größten von allen outlaw heroes Dylans.“

Etwas Religion ist ja nicht anstößig, im Gegenteil. Ende der 60er Jahre war sie in: die Beatles pilgerten zu ihm Guru nach Indien; bei Woodstock wurde auch wie verrückt ‘gebetet’. Aber was Dylan dann 1979 unternahm, sprengte alle Kategorien der spiritual correctness, es war Dylans „fanatisch betriebene Hinwendung zum Christentum“ (O. Benzinger).

Ende der 70er war Dylan mit der Schauspielerin Mary Alice Artes befreundet, die seit einer Weile die charismatische Vineyard-Gemeinde in Malibu, Kalifornien, besuchte. Sie lud Dylan zu einem Gespräch mit den Pastoren Larry Myers und Paul Edmond ein. Myers erklärte dem Sänger ausführlich die ganze Heilsgeschichte anhand der Bibel von Genesis bis zur Offenbarung.

„Wir haben ihn nicht versucht zu überreden, nicht manipuliert und keinerlei Druck auf ihn ausgeübt. Aus meiner Sicht sprach Gott durch sein Wort, die Bibel, zu einem Mann, der seit Jahren auf der Suche war. Irgendwann in den nächsten Tagen hat Bob – privat und allein für sich – Christus angenommen und zu dem Glauben gefunden, dass Jesus wirklich der Messias ist.“

Dylan in seinen Worten: „Jesus hat seine Hand auf mich gelegt… Es war eine physische Sache. Ich fühlte es. Ich fühlte es überall um mich. Ich fühlte wie mein ganzer Körper zitterte. Die Herrlichkeit Gottes warf mich nieder und richtete mich wieder auf.“ Und zu Robert Hilburn von der „Los Angeles Times“:

„Ich hatte tatsächlich ein Erlebnis der Wiedergeburt… Ich wusste immer, dass es einem Gott und Schöpfer des Universums gibt, einen Schöpfer der Berge und der Meere… aber ich war mir Jesu nicht bewusst und wusste nicht, was er mit dem Allerhöchsten Schöpfer zu tun hat… Ich hatte immer die Bibel gelesen, aber ich habe sie nur als Literatur betrachtet.“

Vier Monate besucht Dylan die Jüngerschaftsschule der Gemeinde, las täglich mehrere Kapitel in der Bibel. Der Größte des Rock sitzt neben Studenten und Hausfrauen, hört zu und diskutiert mit ihnen Bibelverse – was für ein Wandel! Dylan war nicht nur auf einen Trip, sondern krempelte sein Leben um. (Es sagt übrigens viel über unsere Kultur, wenn selbst große Dylan-Experten wie der Deutsche O.Benzinger mit den Tatsachen dieser „religiösen Phase“ Dylans geradezu schlampig umgehen und von einer „Klosterschule“ der Gemeinde sprechen und Vineyard als eine „Abspaltung von der lutherischen Kirche mit einer besonderen Betonung alttestamentarischer Texte“ bezeichnen.)

Gotta serve somebody

Slow TrainDie Bekehrung des Sänger fand noch im selben Jahr Ausdruck auf dem Album „Slow Train Coming“. Dylan engagierte wieder den bekannten Produzenten J. Wexler, der später sagte: „Ich hatte keine Ahnung, dass er auf diesem christlichen Wiedergeburtstrip war – bis er anfing mich zu evangelisieren. Ich sagte ihm: ‘Bob, du hast es hier mit einem 62 Jahre alten überzeugten jüdischen Atheisten zu tun. Ich bin hoffnungslos. Lass uns einfach ein Album machen’.“

Auf dem Album bekannte sich Dylan eindeutig zu seinem Glauben. Und er machte eindeutig klar, dass jeder Mensch vor der Entscheidung steht, wem er dienen will. Im bekanntesten Song „You gotta serve somebody“ (an der Gitarre hier und auch auf sonst auf dem Album übrigens Mark Knopfler von den Dire Straits) heißt es:

„You may be a preacher with your spiritual pride, / You may be a city councilman taking bribes on the side, /You may be workin’ in a barbershop, you may know how to cut hair, / You may be somebody’s mistress, may be somebody’s heir / But you’re gonna have to serve somebody, yes indeed/ You’re gonna have to serve somebody, / Well, it may be the devil or it may be the Lord / But you’re gonna have to serve somebody.“ (Du magst ein Prediger sein mit deinem geistlichen Stolz / Du magst ein Stadtratsmitglied sein, der Schmiergeld auf die Seite legt / Du magst in einem Friseursalon arbeiten und weißt, wie man Haare schneidet / Du magst die Geliebte oder der Erbe von jemand sein / Aber du musst jemandem dienen, ja, so ist es / Du musst jemandem dienen / Es mag der Teufel oder es mag der Herr sein / Aber du musst jemanden dienen.)

Auch in „Precious Angel“ betont Dylan den gleichen Gedanken: „Ya either got faith or ya got unbelief and there ain’t no neutral ground“ (Entweder glaubst du oder du glaubst nicht, es gibt keinen neutralen Bereich). Der Refrain des Liedes klingt harmlos wie ein heutiger charismatischer Chorus („Shine your light, shine your light on me“). Dylan stellt hier seine eigene geistliche Blindheit und Hilflosigkeit in der Vergangenheit dar („Ya know I just couldn’t make it by myself. / I’m a little too blind to see“; Du weißt, ich konnte es nicht allein schaffen / Ich war zu blind, um zu sehen). Dann singt er aber auch von denen, die die Gute Nachricht ablehnen: „My so-called friends have fallen under a spell. / They look me squarely in the eye and they say, ‘All is well.’ / Can they imagine the darkness that will fall from on high / When men will beg God to kill them and they won’t be able to die?“ (Meine sogenannten Freunde stehen unter einem Bann / Sie schauen mir direkt in die Augen und sagen „Alles ist gut“ / Können sie sich vorstellen, welche Dunkelheit von Oben [auf sie] herabkommen wird / Wenn Menschen Gott bitten werden sie zu töten und sie nicht werden sterben können?)

Dylan hat seinen Glauben offensichtlich nicht als reine Privatsache aufgefasst, sondern aktiv evangelisiert. So ist er auf Ablehnung gestoßen, die sich schon auf der Platte ausdrückt. In „I Believe in You“ heißt es: „They ask me how I feel / And if my love is real / And how I know I’ll make it through. / And they, they look at me and frown, / They’d like to drive me from this town, / They don’t want me around / ‘Cause I believe in you.“ (Sie fragen mich wie ich mich fühle / Und ob meine Liebe echt ist / Und wie ich wissen könne, dass ich [im Glauben] durchhalte / Und sie schauen auf mich und runzeln die Stirn / Sie würden mich gerne aus dieser Stadt vertreiben / Sie wollen mich hier nicht haben / Weil ich an dich glaube).

Dylan ist scharf wie in seinen alten Protestliedern. In „When You Gonna Wake Up?“ (Wann werdet ihr aufwachen?) nennt er so ziemlich jedes Übel in der Gesellschaft beim Namen, singt von „falschen Philosophien“, „Vergewaltigern in den Kirchen“ und „Gangstern an der Macht“. Aber dies ist nun eben nur ein Teil der Botschaft. Dylan geht nun weiter: „Do you ever wonder just what God requires? / You think He’s just an errand boy to satisfy your wandering desires“ (Macht ihr euch jemals Gedanken darüber, was Gott von euch verlangt? / Ihr glaubt doch, er sei ein Laufbursche, der eure umherschweifenden Wünsche befriedigen soll). Und auch hier wieder eine christologische Spitze: „There’s a Man up on a cross and He’s been crucified. / Do you have any idea why or for who He died?“ (Da ist ein Mann oben am Kreuz, und Er wurde gekreuzigt / Habt ihr irgendeine Ahnung warum und für wen Er starb?)

„Slow Train Coming“ war ein kompromissloses Album, durchdrungen von der Überzeugung „But there’s only one authority, / And that’s the authority on high“ (Doch es gibt nur eine Autorität / Und das ist die Autorität droben) und immer existentiell auf den Punkt: „Jesus said, Be ready, / For you know not the hour in which I come“ (Jesus sagte: Seid bereit / Denn ihr wißt nicht, zu welcher Stunde ich komme; „Gonna Change My Way of Thinking“).

Zuhälter statt Studenten

Von Gott reden ist eine Sache, aber so unverblümt evangelisieren… Obwohl viele die musikalische Leistung anerkannten, wurden Dylan und sein Album dennoch massiv kritisiert. In einer Kritik von „Slow Train Coming“ für den „New Musical Express“ hieß es: „Was Dylan hier predigt, ist nicht Befreiung, sondern Strafe… Wenn wir nicht über eine Gott der Liebe sprechen, dann VERGISS ES.“ Bis heute bemängeln die Musikexperten wie Benzinger die „für Dylan untypische Eindimensionalität“ der Texte. Benzinger weiter: „Dylans Statements bleiben knapp und spröde, und seine Kommentare sind moralisierend und wertend“; „… er wird zum Missionar, überzieht in seinem Eifer und stilisiert sich selbst zum Prediger“ (Bob Dylan). Tatsächlich – Dylan verlangte, dass man auf seine Botschaft hört: „Wenn jemand sagt, ‘Ich mag die Musik, aber mit der Botschaft komme ich nicht klar’, wäre das das gleiche als würde man sagen ‘Ich mag die Augen, aber die Nase ist nicht am richtigen Ort; das Ohr ist OK, aber der Hals funktioniert irgendwie nicht’.“

Dylan durfte gegen Krieg und Rassendiskriminierung predigen, aber nicht den Auferstandenen. Dylan selbst: „Es wäre wohl viel einfacher für mich, wenn ich mein Seelenheil in Drogen, im Buddhismus oder in der scientologischen Gemeinde gefunden hätte.“ Aber er schwamm zeit seines Lebens gegen den Strom. Schon als Kind erlebte er sich als Außenseiter, fühlte sich abgelehnt. 1962 sagte Dylan: „Ich sehe Dinge, die andere Menschen nicht sehen. Ich fühle Dinge, die andere Menschen nicht fühlen. Es ist schrecklich.“ Und nach seiner Bekehrung: „Wenn ich an etwas glaube, dann kümmert mich nicht, was andere darüber denken.“

Ausschließlich mit den neuen Songs ging Dylan zwischen November 1979 und Mai 1980 auf Tour. Und er predigte wirklich wie in Worcester, Massachusetts:

„Das ewige Leben will von euch erbeten sein. Und vergesst nicht: Gott kennt alle Geheimnisse eures Herzens. Gott kennt alle Geheimnisse. Ihr könnt nichts vor ihm verbergen. Lasst euch nicht täuschen von den Verächtern der Wahrheit. Viele Leute beten. Aber es gibt nur einen Weg – die ganze Woche beten, das ganze Jahr…“

Kein Wunder, das solche Sätze seine alten Fans verwirrten. Aber er gewann auch in gewissem Sinn neue hinzu:

„Die Leute, die zur Show kamen, stammten mehr oder weniger aus der Nachbarschaft, darunter Zuhälter, Prostituierte und zwielichtige Charaktere. Ich denke, sie waren im Konzert, weil sie nichts Besseres zu tun hatten. Doch viele von ihnen waren für meine Musik empfänglich und reagierten sehr positiv. Die meisten kannten mich gar nicht, aber sie verstanden, was ich tat. Dann spielten wir in den Colleges, wo meine so genannten Fans saßen. Dort war die Hölle los. Sie schrien, sie wollten Rock‘n’Roll und bewarfen mich mit Schimpfwörtern… Es war nicht immer einfach, aber ich war zufriedener, wenn ich bei den Zuhältern und Nutten spielte.“

Trotz aller Kritiken: Dylan erhielt 1980 den Grammy als bester männlicher Sänger des Jahres 1979.

Shot of Love

Natürlich konnte Dylan die Kritik nicht auf seinem Weg verunsichern. Das Gegenteil trat ein. 1980 erschien sein Album mit dem noch eindeutigerem Titel: „Saved“ – Gerettet. Und es war, als ob Dylan damit zu seinen Kritikern sagte: ok, ihr werft mir Eindimensionalität vor; dann mache ich nun eben eindimensionale Lieder!

Und tatsächlich sind Lieder wie „Saved“ so direkt und klar, wie man es bisher von dem großen Dichter nicht gewohnt war:

„I was blinded by the devil, / Born already ruined, / Stone-cold dead / As I stepped out of the womb./ By His grace I have been touched, / By His word I have been healed, / By His hand I’ve been delivered,/ By His spirit I’ve been sealed.“ (Der Teufel hatte mich blind gemacht / War schon verdorben geboren / [geistlich] Tot wie ein kalter Stein / Als ich aus der Gebärmutter trat / Doch Seine Gnade berührte mich / Durch Sein Wort wurde ich geheilt / Seine Hand erlösste mich / Durch Seinen Geist wurde ich versiegelt)

Und dann geht es weiter wie in einem modernen charismatischen Chorus:

„I’ve been saved / By the blood of the lamb, / Saved By the blood of the lamb, / Saved, Saved, / And I’m so glad. / Yes, I’m so glad, / I’m so glad, / So glad, / I want to thank You, Lord, / I just want to thank You, Lord,/ Thank You, Lord.“ (Ich wurde gerettet / Durch das Blut des Lammes / Gerettet durch das Blut des Lammes / Gerettet, gerettet / Ich bin so froh / Ja ich bin so froh / So froh / Ich will Dir nur danken, Herr / Ich will Dir nur danken, Herr / Danke, Herr)

Noch konfrontativer als auf „Slow Train Coming“ heißt es in „Are You Ready?“ – wieder eine ganz unumwunden provokative Frage, die auf die Zuhörer einhämmert:

„Are you ready, are you ready? / Are you ready, are you ready? / Are you ready to meet Jesus? / Are you where you ought to be? / Will He know you when He sees you / Or will He say, “Depart from Me”? /Are you ready for the judgment? / Are you ready for that terrible swift sword? / Are you ready for Armageddon? / Are you ready for the day of the Lord? / Are you ready, I hope you’re ready. (Bist du bereit? Bist du bereit? / Bist du bereit? Bist du bereit? / Bist du bereit, Jesus zu begegnen? / Bist du dort, wo du sein solltest? / Wird er dich kennen, wenn er dich sehen wird? / Oder wird er zu dir sagen „gehe fort von mir“? / Bist du bereit für das Gericht? / Bist du bereit für das schreckliche, scharfe Schwert? / Bist du bereit für Harmageddon? / Bist du bereit für den Tag des Herrn? / Bist du bereit, ich hoffe du bist bereit)

„Saved“ wurde selbst von Christen wie dem Musikjournalisten Steve Turner als „minderwertiges Album“ mit zahlreichen Schwächen bezeichnet (Hungry for Heaven). Nur etwa zwei Lieder gelten als gelungen (und „In the Garden“ spielt Dylan bis heute auf Konzerten, s.u.). „Shot of Love“ von 1981, das Dylans „christliche Trilogie“ abschloss, zeigte dann aber einen Sänger, der seinen Glauben mit textlicher Tiefe und Biss verband. Im Titelsong:

„Don’t need a shot of heroin to kill my disease, / Don’t need a shot of turpentine, only bring me to my knees, / Don’t need a shot of codeine to help me to repent, / Don’t need a shot of whiskey, help me be president. / I need a shot of love, I need a shot of love.“ (Ich brauche keinen Schuss Heroin, um meine Krankheit zu heilen / Ich brauche keinen Schuss Terpentin, nur um auf die Knie zu gehen / Ich brauche keinen Schuss Kodein, das mir hilft Buße zu tun / Ich brauche keinen Whiskey, um besser Präsident zu sein / Ich brauche einen Schuss Liebe, ich brauche einen SchusLiebe)

In  „Property of Jesus“ verarbeitete Dylan die Ablehnung seines Glaubens (wohl vor allem durch andere Musiker):

„Go ahead and talk about him because he makes you doubt, / Because he has denied himself the things that you can’t live without. / Laugh at him behind his back just like the others do, / Remind him of what he used to be when he comes walkin’ through.“ (Redet ruhig weiter über ihn, weil er euch zum Zweifeln bringt / Weil er sich die Dinge verweigert hat, ohne die ihr nicht leben könnt / [Ihr] lacht über ihn hinter seinem Rücken wie es auch die anderen tun / [Ihr] erinnert ihn an den, der er einmal war, wenn er vorbei kommt)

Der Refrain ist geradezu bitter. Es wird vermutet, dass abfällige Bemerkungen Mick Jaggers von den Rolling Stones zu Dylans Bekenntnis diesen dazu motiviert haben. Das „Herz aus Stein“ mag eine Anspielung an die Stones (Steine) sein: „He’s the property of Jesus / Resent him to the bone / You got something better / You’ve got a heart of stone“ (Er ist das Eigentum Jesu / Ihr mögt ihm das fürchterlich übelnehmen / Aber ihr habt ja etwas Besseres / Ihr habt ein Herz aus Stein)

Viel positiver in der Aussage ist dagegen „Every Grain of Sand“, wohl einer der besten Dylan-Songs überhaupt. Hier verbindet Dylan persönliche Erfahrung mit tiefer theologischer Wahrheit. Ausgangspunkt ist Verzweiflung und Depression, was Dylan viel sympathischer erscheinen lässt als in seinen anklagenden Songs:

„In the time of my confession, in the hour of my deepest need / When the pool of tears beneath my feet flood every newborn seed / There’s a dyin’ voice within me reaching out somewhere, / Toiling in the danger and in the morals of despair.“ (Während meines Bekenntnisses, in der Stunde meiner größten Not / Als die Pfützen meiner Tränen unter meinen Füßen jede neue Saat hinwegspülten / Ist dort eine verschwindende Stimme in mir, die irgendwo nach mir ruft / Die sich in der Not und der Verzweiflung abmüht)

Mag die Gegenwart auch trostlos sein, der Gläubige weiß sich in der Hand des allmächtigen und allgegenwärtigen Gottes geborgen: „In the fury of the moment I can see the Master’s hand / In every leaf that trembles, in every grain of sand.“ (Im Tumult des Augenblicks kann ich die Hand des Meisters sehen / In jedem Blatt, das zittert, in jedem Sandkorn).

Mag unser Leben von Versuchungen gekennzeichnet sein, so ist es aber auch von Gott kontrolliert, denn dieser weiß alles:

„I gaze into the doorway of temptation‘s angry flame / And every time I pass that way I always hear my name. / Then onward in my journey I come to understand /That every hair is numbered like every grain of sand.“ (Ich starre auf den Weg der bösen Flamme der Versuchung / Und jedes Mal, wenn ich diesen Weg betrete, höre ich meinen Namen rufen / Auf meiner weiteren Reise habe ich verstanden / Dass jedes Haar [von mir] wie auch jedes Sandkorn gezählt ist)

Gott hat einen perfekten Plan, und das Wissen um diesen Plan gibt uns Ruhe: „I am hanging in the balance of a perfect finished plan [so die später meist gesungene Variante der Zeile]/ Like every sparrow falling, like every grain of sand.“ (Ich ruhe im Gleichgewicht eines perfekt vollendeten Planes / Wie jeder Spatz, der fällt, wie jedes Sandkorn)

„Every Grain of Sand“  ist offensichtlich eine Art Auslegung von Mt 10,28–32, wo auch von der Angst der Jünger und dem furchtlosen Bekennen die Rede ist. Jesus ermutigt sie durch den Vergleich mit unbedeutenden Spatzen und Haaren – wenn Gott sich auch um diese kümmert, wieviel mehr dann um seine Kinder. (s. auch www.everygrainofsand.com)

Der Song ist einer der schönsten von Dylan und auch einer der besten christlichen Lieder überhaupt, das sich einreihen kann in berühmte Liedern wie „Ein feste Burg ist unser Gott“ oder „Amazing Grace“ (von M. Luther bzw. J. Newton – beide ebenfalls sehr existentiell und theologisch zugleich). Auch dieses Lied singt Dylan bis heute auf seinen Konzerten (mehrfach 2003, 2005 und 2006, zuletzt in Helsinki am 1. Juni 2008).

So steht es geschrieben

Ab 1982/83 änderte Dylan sein Auftreten in der Öffentlichkeit. Er sang wieder seine alten Lieder, und er evangelisierte nicht mehr – zumindest nicht mehr so radikal und direkt wie in den Jahren zuvor. „Ich habe Zeug gesagt, von dem ich meinte, dass die Leute das wissen sollten. Ich wollte ihnen einen Eindruck davon geben, was hinter den Texten steht. Ich glaube, das ist nicht mehr nötig.“ Und an anderer Stelle:

„Ich habe Stellung bezogen und ich glaube nicht, dass ich dies noch besser tun könnte als in einigen dieser Songs. Sobald ich in einem Song gesagt habe, was ich sagen muss, reicht es. Ich will mich nicht ständig wiederholen… Aber das bedeutet nicht, dass ich diese Songs nicht mehr singen werde.“

Evangelikale Christen, die so begeistert waren über seine Bekehrung, waren nun teilweise verwirrt. Dylan schloss sich nicht dem CCM (Contemporary Christian Music)-Lager an, und auch ein Vineyard-Christ wollte er nicht bleiben. Für Gesprächsstoff sorgten seine Besuche in Gemeinden der chassidischen Chabad Lubavitch-Richtung. War Dylan etwa vom Glauben abgefallen? War die fromme Phase wieder vorbei?

Auch Cliff Richard betonte immer wieder, dass ein Christ im Showgeschäft seinen Glauben nicht durch ständiges Reden über das Evangelium beweisen muss. Der Brite bekannte offen, dass die Gemeindezugehörigkeit für Stars seines Kalibers ebenfalls ein großes und praktisch kaum zu lösendes Problem darstellt. Er könne oft nur geradezu heimlich einen Gottesdienst besuchen und stiehlt sich dann vor Schluss wieder weg – ein normales Gemeindeleben ist für solch prominente Christen fast nicht möglich.

Dylan äußert sich über sein Privatleben seit vielen Jahren praktisch überhaupt nicht mehr. Er kommuniziert mit dem Publikum über die Songs, der er auf den vielen Konzerten spielt. Und seine ausdrücklichen christlichen Stücke sind immer noch regelmäßig auf der set list. „Every Grain of Sand“ trug Dylan in den 80er und 90er Jahre immer wieder vor. „I Believe in You“ (2004, 2005 und 2007), „Saving Grace“ (2005 und vor allem 2003, 2004) und „Gotta Serve Somebody“ (in den 80er, sehr häufig 1998–2003, 98/99 bei zahlreichen Auftritten Eröffnungssong) waren in den letzten Jahren oft Teil seines Programms. 2003 erschien „Gotta Serve Somebody – The Gospel Songs of Bob Dylan“.

„In the Garden“ von „Saved“ sang Dylan bis 1991 rund 300 Mal (auch wieder 2001 und 2002). Der nun sensibel evangelisierende Christ macht jetzt Zwischenansagen zu dem Song wie diese:

„Am Ende dieses Abends möchte ich ein Lied über meinen Helden singen. Ich denke, jeder von uns hat seine Helden. Bei manchen ist es Muhammed Ali, für andere ist es Albert Einstein oder auch Clark Gable, vielleicht auch Michael Jackson oder Bruce Springsteen. Ich habe nichts gegen all diese Leute, aber meine Helden sind sie nicht. Das ist die Wahrheit. Ich singe jetzt über meinen Helden.“

Auch der Text selbst von „In the Garden“ ruft ins Nachdenken über die Wahrheit des Evangeliums:

„When they came for Him in the garden, did they know? / When they came for Him in the garden, did they know? / Did they know He was the Son of God, did they know that He was Lord? / Did they hear when He told Peter, “Peter, put up your sword”?“ (Als sie zu ihm in den Garten [Gethsemane] kamen, wussten sie es? ../ Wussten sie, dass Er der Sohn Gottes war, wussten sie, dass Er der Herr war? / Hörten sie Ihn zu Petrus sagen „Petrus, stecke dein Schwert ein“?)

„In the Garden“ ist eines der besseren Lieder auf „Saved“, denn es proklamiert nicht einfach, sondern stellt viele Fragen:

„When He spoke to them in the city, did they hear?.. / When He healed the blind and crippled, did they see?.. / Did they speak out against Him, did they dare?.. / When He rose from the dead, did they believe?“ (Als Er zu ihnen in der Stadt sprach, hörten sie?.. / Als Er die Blinden und Lahmen heilte, sahen sie?.. /  Haben sie sich offen gegen Ihn ausgesprochen, haben sie es gewagt?.. / Als Er von den Toten auferstand, haben sie geglaubt?)

1985 ging Dylan in Australien und Asien mit Tom Petty and the Heartbreakers auf Tour. Während einer Pressekonferenz wurde er gefragt, ob er sich als Christ oder als Jude ansieht. Er antwortete scherzhaft, aber ernst zugleich, dass er Christ „etwa 50% der Zeit“ ist und in der restlichen Zeit ein Jude, aber „nur wenn ich einer sein muss“ – eine gute Antwort für einen messianischen Juden! Den Abend sang er wieder über „seinen Helden“…

Auf den Alben der letzten Jahrzehnte gibt es durchaus auch Songs mit religiösen und christlichen Bezügen wie „Ring Them Bells“ von „Oh Mercy“ (1989), „God Knows“ von „Under The Red Sky“ (1990) oder „Tryin‘ To get To Heaven“ („Time Out Of Mind“, 1997). Auf Konzerten trägt er aber noch häufiger christlicher Lieder aus anderer Feder vor. 1997 im Interview mit „Newsweek“: „Ich finde Religiosität und Philosophie in der Musik. Nirgendwo sonst. Songs wie ‘Let Me Rest on a Peaceful Mountain’ oder ‘I Saw the Light’ – das ist meine Religion. Ich bin kein Anhänger von Rabbis, Predigern, Evangelisten… Die Songs sind mein Lexikon. Ich glaube an die Songs.“ Der „New York Times“ sagte er: „Ich glaube an Gott in Raum und Zeit. Aber wenn Leute mich danach fragen, verweise ich sie auf einen dieser Songs. Ich glaube an Hank Williams, wenn er singt ‘I Saw the Light’. Ich habe das Licht auch gesehen.“ Und was wird in diesem Lied nun gesagt? Klarer geht es kaum:

„I wandered so aimless, life filled with sin, I wouldn’t let my dear Savoir in, Then Jesus came like a stranger in the night. I was a fool to wander and stray, Straight is the gate and narrow is the way, But now I have traded the worng for the right, Praise the Lord I saw the light.“  (Ich wanderte ziellos umher, das Leben voller Sünde / Ich wollte meinen lieben Retter nicht hereinlassen / Dann kam Jesus wie ein Fremder in der Nacht / Ich war ein Narr, dass ich umherstreifte und –irrte / Gerade ist das Tor und eng ist der Weg / Aber nun habe ich das Falsche gegen das Richtige getauscht / Preist den Herrn, ich habe das Licht gesehen)

Auf der Tour 1999 mit Paul Simon war Dylans erster Song „Hallelujah, I’m Ready to Go“. Seit einer Weile beginnt er Konzerte oft mit bluegrass-Hymnen wie diesem oder „I Am The Man, Thomas“, „A Voice From On High“, „Somebody Touched Me“. Auch der alte Hymnus „Rock of Ages“ von A. Toplady wird von ihm nun gerne vorgetragen. Dylan scheint bewusst Lieder zu kombinieren, die auf der einen Seite die Unsicherheit und Instabilität des Lebens betonen und solche, die die Sicherheit des Glaubens und der Erlösung unterstreichen.

Von Zeit zu Zeit äußert sich Dylan aber auch noch direkt wie in ‘alten’ Zeiten. In einem Interview 1991 in Budapest sagte er unverblümt: „Ich glaube alles, was die Bibel sagt“. Und weiter: „Lesen Sie viel in der Bibel?“ Dylan: „Ja.“ „Ständig?“ Dylan: „Immer.“ „Welches sind Ihre Lieblingsbücher in der Bibel?“ Dylan: „Leviticus und Deuteronomium [3. und 5. Buch Mose].“ „Was halten Sie von der Offenbarung?“ Dylan: „Das nächste Gericht wird nicht durch Wasser [wie bei der Sintflut], sondern durch Feuer geschehen. So steht es geschrieben.“