Wie wirkt der Geist?

Wie wirkt der Geist?

Menschen werden durch den Geist zum Glauben an Jesus Christus gebracht und der Kirche eingegliedert, ob nun in größeren Gruppen (Apg 2,41; 5,14; 6,7; 8,14; 11,24) oder als Einzelpersonen (Apg 8,26–40). Der Geist schafft also die Kirche, wirkt in ihr und ihren Mitgliedern. Darüber besteht zwischen den großen Konfessionen Einigkeit. Unstrittig ist auch, dass die besondere Gnade Gottes den Menschen durch den Geist geschenkt wird. Johannes Calvin in seinem Werk über die Prädestination:

„Die Wurzel unseres Glaubens an Jesus Christus liegt nicht in unserem eigenen Bemühen… Sie entspringt vielmehr der Gnade Gottes, einer Gnade, die unsere Natur übersteigt. So bleibt nun zu prüfen, ob diese Gnade ein Gemeingut aller Menschen ist oder nicht. Die Heilige Schrift behauptet, dass dies nicht der Fall ist: Gott nämlich gibt seinen Heiligen Geist nach seinem Ermessen den Menschen, und er erleuchtet sie durch den Sohn.“ (Von der ewigen Erwählung, 1551)

Der Heilige Geist ist nicht das Monopol einer Kirche; er wirkt in Gläubigen von unterschiedlichen Bekenntnistraditionen; ja er ist das einigende Band zwischen Christen verschiedener Konfessionen. Insofern ist es richtig, wenn man in diesen Tag, um Pfingsten, lesen kann: „Der Heilige Geist pfeift auf Konfessionen“.

Allerdings muss man ebenso beachten, dass die Frage, wie der Geist die Verdienste Christi dem Menschen zu Gute kommen lässt und wie sich Geist, Wort der Schrift und das Handeln der Diener der Kirche zueinander verhalten, verschieden beantwortet werden. Man kann sogar sagen, dass diese Unterschiede Kernvorstellungen der Konfessionen berühren.

Die katholische Kirche bindet den Geist direkt an die Sakramente und damit auch direkt an die Priester und Bischöfe, die diese Sakramente verwalten und austeilen. Daher lehrt die Kirche Roms zum Beispiel die Wiedergeburt durch die Taufe (Katechismus der Katholischen Kirche [KKK], §1213). Weil der Priester in seiner Amtsvollmacht handelt (und wenn es keine objektiven Hinderungsgründe oder „Sperren“ gibt), wirkt der Geist tatsächlich im Säugling, schafft eine neue objektive Wirklichkeit in ihm. Die Gnade wirkt schon durch den Vollzug; die Taufe stellt übernatürliches Leben her. Natürlich behaupten katholische Theologen, dass Christus selbst den Amtsträgern der Kirche diese Macht gegeben hat; Protestanten widersprechen hier.

Der Grundfehler der römischen Kirche ist dabei aus evangelischer Sicht, dass sich zwischen Gott und Mensch die halbgöttliche Kirche („allumfassendes Sakrament des Heils“, KKK 776) mit ihrem sakramentalen System schiebt. Die Mittlerschaft Christi wird mit der Mittlerschaft der Kirche vermengt. Das Heil wird aus der Hand der Kirche, durch die Sakramente und durch die Priester und Bischöfe empfangen, die wiederum durch die Ordination selbst eine besondere Gabe des Geistes empfangen haben.

Im Protestantismus ist die Kirche im direkten Sinne nicht Heilsmittlerin; sie ist der Ort, wo das Evangelium verkündigt wird; und dieses Wortes benutzt der Geist souverän, d.h. wo und wann er will, um Wiedergeburt, Glauben usw. zu schaffen. Er benutzt natürlich das Tun der Diener der Kirche, ihre Wortverkündigung vor allem, aber er hat sich nicht so an sie gebunden, dass man sagen kann: der Pastor hat dies und jenes getan, also hat deswegen der Geist gewirkt. Der Geist hat sich einzig an sein Wort gebunden (das auch von Nichtordinierten verkündigt wird!), an das Wort der Schrift, und durch dieses wirkt er direkt am Herzen der Menschen.

Die Kirche mit ihren Handlungen hat also im Hinblick auf das Heil ‘nur’ dienende Funktion; durch ihre eingesetzten Diener schafft sie das Heil nicht. Sie gibt dem Geist gleichsam die Möglichkeit oder den Rahmen, auf die von ihm bestimmte Weise im Menschen zu wirken. Sie kontrolliert folglich nicht das Wirken des Geistes; dieser bleibt Souverän.

Im presbyterianischen Westminster-Bekenntnis (1647) kommt dies gut zum Ausdruck. In Kap. 28 wird dort bekräftigt, dass die Taufe „Zeichen und Siegel“ des „Bundes der Gnade“ und all seiner Segnungen (Wiedergeburt, Vergebung der Sünden, neues Leben) ist. In der Taufe wird „die verheißene Gnade nicht allein angeboten“, sondern „wirklich dargereicht und übertragen“, was jedoch präzisiert wird: der Heilige Geist wirkt dabei „zu der von ihm bestimmten Zeit“; die „Wirksamkeit der Taufe ist nicht an den Zeitpunkt gebunden, zu dem sie gespendet wird“. Daher kann man auch nicht sagen, „dass alle, die getauft worden sind, unzweifelhaft wiedergeboren wären“. Die reformierte Tradition lehnt daher (ganz überwiegend) die Taufwiedergeburt ab. Was definitiv in der Kindertaufe geschieht, ist die „Aufnahme des Getauften in die sichtbare Kirche“. Ob der Getaufte zur unsichtbaren Kirche der Erwählten und wahrhaft Geretteten gehört, bleibt offen.

Die lutherische Konfession sieht dies anders. Die Taufe ist dort die entscheidende Wegmarke im Leben des Christen. Die Wiedergeburt wird meist in die Taufe hineingelegt; aus dem unfreien Willen wird dort ein befreiter gemacht. Schon in Luthers Kleinem Katechismus heißt es, dass die Taufe Vergebung der Sünden „wirkt“, vom Tod und Teufel definitiv „erlöst“ und „ewige Seligkeit“ gibt. Im Sakrament schafft der Heilige Geist den Glauben.

In der pietistischen Tradition wurde die Notwendigkeit des persönlichen Glaubens betont, und auch Luther selbst unterstrich ja oft genug, dass es ohne diesen späteren Glauben kein Heil gibt. Im Katechismus werden die Wohltaten „allen, die es glauben“ zugesprochen. Helmut Burkhardt beschreibt in Die biblische Lehre von der Bekehrung sehr gut, wie die pietistischen Väter im 17. und 18. Jahrhundert mit diesen Fragen rangen. Schon Theophil Großgebauer wagte es um 1660, die Wiedergeburt von der Taufe abzulösen; Spener (1635–1705) hielt zwar an der herkömmlichen Taufwiedergeburtslehre fest, sprach aber auch von einer Wiederholbarkeit der Wiedergeburt und einer zweiten Wiedergeburt, der Bekehrung. Im abschließenden Teil 3 („Bekehrung heute“) spricht Burkhardt zurecht von einer „theologischen Überfrachtung der Taufe“ und resumiert aus seiner Sicht: „Es ist deutlich und unmißverständlich zu sagen: Die Taufe allein macht noch niemanden wirklich zum Christen… Wie das Wort ist sie Zuspruch der Gnade Gottes… Mitteilung des Geistes und damit Wiedergeburt vollzieht sich aber nur dort, wo diese Verheißung im Glauben aufgenommen wird.“ (Aus reformierter Sicht ist hier nur zu ergänzen, dass der Glaube nicht die Mitteilung des Geistes auslöst, sondern selbst schon Frucht des Geistes ist.)

Im Luthertum gibt es unterschiedliche Strömungen, und nun dominiert in der Kirche Litauens offensichtlich die hochkirchliche, die die Sakramente und ihre objektive Wirksamkeit stark betont. Die Kirche ist theologisch recht konservativ geprägt (keine Frauenordination), doch von einer Neigung zum Pietismus kann – leider – so gut wie keine Rede sein. Jüngst führte Mindaugas Sabutis, Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche des Landes, in der Sendung „Kelias“ (Weg; s.o. Screenshot) des öffentlich-rechtlichen Sender LRT zur Taufe aus:

„Wir werden durch die Taufe zu Gottes Kindern; der Alte Adam, der der Feind Gottes ist, verschwindet. In der Taufe wird der neue Adam, ein neuer Mensch, geboren, der für Gott lebt. In der Heiligen Taufe wird der Heilige Geist zugeteilt, und von dem Moment an können wir uns Kinder Gottes nennen. Von dem Moment an können wir Gott den himmlischen Vater nennen. Von dem Moment an können wir uns freuen, dass uns das Heil gehört und dass alles, was Gott in der Inkarnation, im Tod, in der Auferstehung und in der Sendung des Geist getan hat, auch uns gilt. Die Heilige Taufe, dieses teure Geschenk, macht uns zu echten Christen.“

Ein Wort zur Wichtigkeit des persönlichen Glaubens fehlte ganz, ja der Begriff fiel nirgends. Für die Zuschauer der Sendung blieb unklar, inwieweit sich in dieser Frage die Lehre der lutherischen Kirche von der der römisch-katholischen überhaupt unterscheidet. Übrigens wird auch im Taufritus der Lutheraner Litauens meist sog. Chrisam, geweihtes Salböl, verwendet. Es symbolisiert den Heiligen Geist.

So ist es kein Zufall, dass sich die hiesige lutherische Kirche (bzw. deren Leitung) stark an die römisch-katholische und auch die orthodoxe Kirche anlehnt. Vor einigen Jahren zog Sabutis in einem Interview mit einem katholischen Journal öffentlich in Zweifel, ob seine Kirche protestantisch sei (zumindest ließ er die Frage bewußt in der Schwebe). Als der Leiter des Lutherischen Weltbundes, ein Bischof aus Jordanien, vor einigen Monaten Litauen besuchte, waren bei einem Treffen in den Räumen der Gemeinde in Vilnius neben den Pfarren der Kirche u.a. der katholische Erzbischof von Vilnius und Vertreter der orthodoxen Kirche anwesend; die alte Bruderkirche der Reformierten war nicht geladen, andere evangelische Kirchen sowieso nicht. Und eine Woche vor Ostern pilgerte ein Dutzend lutherischer Pfarrer nach Rom; man ließ sich tatsächlich vor dem Grab des Apostels im Petersdom ablichten. Kein Wunder, dass sich die reformierte Kirche (seit der Übereinkunft von Sandomir 1570 in Polen-Litauen eigentlich eng mit der lutherischen verbunden) neue Partner im Spektrum der Evangelischen sucht.