Klassiker der Moderne

Klassiker der Moderne

Vilnius war schon immer das politische, kulturelle und wirtschaftliche Zentrum Litauens. Natürlich wurde die Stadt am Nėris auch nach Erlangen der Unabhängigkeit 1918 Sitz der Regierung. Doch 1920 besetzten polnische Truppen den Osten des Landes um Wilno, so der polnische Name für Vilnius. Die litauische Regierung musste nach Kaunas ausweichen und erklärte die zweitgrößte Stadt zur „laikinoji sostinė“, zur provisorischen Hauptstadt.

Kaunas profitierte auf diese Weise von der Niederlage gegen Polen. Ähnlich wie im Fall Bonns wurde aus dem Provisorium bald ein Dauerzustand. Zahlreiche neue private und staatliche Einrichtungen mussten gegründet, Verwaltungsbauten, Forschungseinrichtungen und Hochschulen, Banken, Ministerien und Museen gebaut werden. Architektonisch orientierte man sich in den 20er und 30er Jahren vor allem an der Klassischen Moderne – nüchtern und rational im Stil, ähnlich wie es in Dessau das Bauhaus propagierte. Prägend wirkte in Kaunas der Architekt Vytautas Landsbergis-Žemkalnis, dessen Sohn später die Unabhängigkeitsbewegung ab 1988 anführen sollte. Eines der wichtigsten Gebäude der Epoche ist sicher die Zentrale Post von Feliksas Vizbaras an der Allee der Freiheit.

Nun hat jüngst die Europäische Kommission bestätigt, dass die Zwischenkriegsarchitektur von Kaunas in die Reihe der Objekte des Europäischen Kulturerbe-Siegels aufgenommen wird (s. hier).  Sechzehn Kulturdenkmäler erhielten für 2014 den Zuschlag, davon drei in Polen. In Deutschland wurde z.B. das Hambacher Schloss bei Neustadt an der Weinstraße gewürdigt (der Bericht zu den einzelnen Objekten befindet sich hier). Dass es auch Kaunas geschafft hat, ist für den Ort sicher eine bedeutende Auszeichnung, hat man doch die barocke Vilniuser Universität aus dem Rennen geworfen. Im April wird eine offizielle Feier in Brüssel stattfinden.

Unter den Objekten der Moderne ragt in Kaunas sicher die Auferstehungskirche heraus (Prisikėlimo bažnyčia), und das in jeder Hinsicht. Der gewaltige weiße Sakralbau auf dem Grünen Hügel überragt die Stadt und ist die Dominante in der Skyline. Die Planungen begannen schon Ende der 20er Jahre, schließlich wurde ein Entwurf des lettischen Architekten Karlis Reisons gewählt. Dieser fand nach dem Krieg in seiner Heimat keine Anstellung, arbeitete ab 1922 in Šiauliai, wo er manche Spuren hinterließ (von ihm stammt z.B. die Grundschule, die unsere Kinder besuchten bzw. besuchen). 1930 zog er nach Kaunas, wurde 1932 litauischer Bürger (nun Karolis Reisonas).

Für die Auferstehungskirche stellte die Stadt ein Grundstück zur Verfügung. Wegen damals ungeheuer hoher Baukosten von geplanten 3 Millionen Litas wurde das ursprüngliche Projekt 1932 abgeändert, doch noch immer sollte eine der größten Kirchen im Baltikum entstehen: ein gewaltiges Schiff, dass mehrere Tausend Personen fassen kann, ein 70 Meter hoher Turm und eine riesige Dachterrasse. Modernste Baustoffe und technische Neuerungen kamen zum Einsatz. In ihrem sachlichen Stil erinnert der Bau eher an eine protestantische Kirche. So überrascht es auch nicht, dass der viel kleinere Neubau der ev. reformierten Kirche in Kaunas der Auferstehungskirche sehr ähnlich sieht.

Die Grundsteinlegung der katholischen Kirche erfolgte 1934. Im Jahr der sowjetischen Besetzung, 1940, stand der Rohbau. Auf Geheiß Stalins wurde 1952 im Gebäude eine Radiofabrik eingerichtet („Banga“), dafür mehrere Zwischendecken eingezogen. Auf dem Turm hieß es nun „Ruhm der KPdSU“. Auch die reformierte Kirche wurde nicht beendet und zum Lager für verschiedene Fabriken umfunktioniert. In den 50er Jahren übernahm die Miliz das Gebäude. Als Nachfolger der Polizeiakademie ist die Mykolas-Riomeris-Universität nun Hausherr (die Übergabe an die reformierte Kirche steht immer noch aus).

Erst im Jahr 2006 wurde die aufwendige Restaurierung (finanziert u.a. durch private Spenden) der Auferstehungskirche beendet. Nun strahlt sie wieder –ؘ oder genauer: erstmals – über der Stadt. Die reformierte Kirche ist dagegen in einem erbärmlichen Zustand…

Wer Interesse für Architektur hat, sollte also nicht nur die prächtige Altstadt in Vilnius besuchen, die für ihre zahlreichen barocken Baudenkmäler bekannt ist. Auch Kaunas ist eine Reise wert.

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Zentrale Post in Kaunas

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Forschungseinrichtung (Foto: Norbert Tukaj)

Feuerweher Kaunas

Feuerwehrgebäude in Kaunas, um 1930

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Entwurf der reformierten Kirche

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In der Auferstehungskirche

Auferstehungskirche in Kaunas

Auferstehungskirche

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