Reformationstag – warum am 31. Oktober?

Reformationstag – warum am 31. Oktober?

Am 31.10.1517 hat bekanntlich der Augustinermönch Martin Luther seine 95 Thesen veröffentlicht und – möglicherweise – zu Wittenberg an die Tür der Schlosskirche genagelt. Mit den Thesen kam ein Stein ins Rollen, aber sie selbst waren noch nicht das Dokument eines Reformators. „Luther befindet sich mit den Thesen im katholischen Raum“, so Kurt Aland ganz richtig in seiner Kirchengeschichte, weswegen diese ja auch nicht zu den Bekenntnistexten der lutherischen Kirche gehören. Heinz Schilling: „Rückblickend betonte Martin Luther wiederholt, dass die Ablassthesen noch keineswegs die theologische Posaune waren, mit der er die Mauern des Papsttums zu Fall brachte.“ (Martin Luther – Rebell in einer Zeit des Umbruchs )

In den evangelischen Gebieten Deutschlands wurde schon bald des Beginns der Reformation gedacht, doch der 31. Oktober spielte dabei noch keine Rolle. Eine öffentliche Danksagung fand häufig aus Anlass der Annahme der Reformation bzw. von reformatorischen Bekenntnissen und Kirchenordnungen statt. Das RGG (1961) nennt hier als Beispiele Braunschweig 1528, Hamburg 1529. Aber die Vielfalt in den Territorien war groß: Andere Länder begingen Luthers Tauftag wie in Frankfurt/Oder, Pommern-Stettin, andere den Todestag. Lübeck kannte wohl auch schon einen Gedenktag um den 1. November herum. (S. dazu Robert Kolb, Martin Luther as Prophet, Teacher, and Hero)

In Süddeutschland war der 25. Juni ein wichtiger reformatorischer Gedenktag, denn an diesem Tag im Jahr 1530 wurde das Augsburger Bekenntnis auf dem Reichstag am gleichen Ort überreicht. Die die Confessio Augustana, kurz CA, ist politisch gesehen das wichtigste Bekenntnisdokument der Evangelischen im Deutschen Reich. Es ist bis heute das Bekenntnis der Lutheraner, so dass in einigen Ländern Europas die lutherischen Kirchen nach ihm benannt sind (Kirchen „Augsburgischen Bekenntnisses“ wie z.B. in Österreich, Polen und Rumänien). Zu beachten ist aber auch sein ‘ökumenischer’ Charakter: Auch viele Reformierte trugen es in den lateinischen Variante von 1540 (der Variata) mit. Calvin z.B. unterzeichnete sie bewusst, um seine Verbundenheit mit der lutherischen Reformation auszudrücken.

Doch die CA wurde eben erst 1530 geschrieben und angenommen – rund 10 Jahre nach Beginn der Reformation (wenn man diese einmal mit der Veröffentlichung von Luthers reformatorischen Hauptschriften im Jahr 1520 ansetzt). Ein passender früher Termin wäre da noch der 18. April: An diesem Tag im Jahr 1521 stand Luther beim Reichstag in Worms ein zweites Mal vor Kaiser und Fürsten und weigerte sich, seine Schriften zu verwerfen – „Hier stehe ich…“ An diesem Tag wurden tatsächlich wichtige Weichen gestellt: es folgte die Reichsacht, Luthers Entführung auf die Wartburg, die Bibelübersetzung. Wäre Luther damals eingeknickt (wäre er dem Rat mancher Freunde gefolgt und hätte widerrufen), so wäre die Reformation wohl kaum vorangekommen. Aber der 18. April etablierte sich überhaupt nicht als Gedenktag.

1617 kam man auf den Gedanken, ein hundertjähriges Reformationsjubiläum zu feiern. Und das natürlich vor allem aus politischen Gründen. Denn der Konfessionskonflikt steuerte auf einen neuen Höhepunkt zu. Nach Jahren der Ruhe im Reich erstarkte in Deutschland (aber auch in anderen Ländern wie Polen-Litauen) ab etwa 1600 die katholische Kirche (eine erste Phase verstärkter Rekatholisierung zwischen 1579 und 1609).

Es war wohl Johann Georg I von Sachsen, der in einem Brief vom 12. August 1617 anordnete, ein Reformationsjubiläum zu begehen. Die Universität Wittenberg wurde zu Feierlichkeiten aufgefordert. Doch eine 100-Jahr-Feier des Thesenanschlags selbst wurde von den Lutheranern nicht geplant. Die Initiative ging damals vielmehr von Kurfürst Friedrich V aus der Pfalz aus, also einem Reformierten (dem baldigen „Winterkönig“ von Böhmen). Er führte die protestantische „Union“ an und brauchte so einen symbolischen Akt wegen der politischen und religiösen Spannungen im Reich – angesichts des Drucks auf Protestanten ein Jahr vor dem Ausbruch des 30-jährigen Krieges.

Friedrich_V._von_der_Pfalz

Friedrich V von der Pfalz

Mark Noll und Thomas Howard im (katholischen) Journal „First Things“ in diesem Monat:

„Interessanterweise waren es Calvinisten, nicht Lutheraner, die im Jahr 1617 vorschlugen, Luthers Angriff auf den Ablass nach einhundert Jahren in besonderer Weise zu kennzeichnen. Durch eine nach dem Konzil von Trient zunehmend durchsetzungswillige katholische Kirche alarmiert und ohne Rechtsstatus im Heiligen Römischen Reich [das betraf die Reformierten] verkündeten Anfang dieses Jahres kirchliche und fürstliche Beamte in der reformierten deutschen Pfalz, sie würden im Oktober ein hundertjähriges ‘Jubiläum’ abhalten, um sich daran zu erinnern, wie ‘der ewige, allmächtige Gott gnädig auf uns gesehen und uns aus der schrecklichen Finsternis der Papsttum errettet hat.’ Der Herrscher in der Pfalz, Friedrich V, forderte alle Protestanten (womit er Lutheraner und Reformierte meinte) auf, das Trennende beiseite zu legen und zwischen dem 31. Oktober und 2. November für die Wiedergewinnung des hellen Licht des Evangeliums zu danken.”

Lutherischen Städte und Territorien schlossen sich dieser Initiative des Kurfürsten an. Nun begann sich der 31. Oktober durchzusetzen. Luther wurde übrigens nun mehr und mehr zu einem Helden, zu einem dritten Elia oder zweiten Josua. Seine Mission umrahmte man auch legendenhaft, um der Reformation angesichts all der katholischen Wunder auch eine entsprechende übernatürliche ‘Aura’ zu geben. Hier ist als Beispiel der im Jahr 1617 vielfach veröffentlichte prophetische Traum (s. u. ein Faltblatt von 1617) von Luthers Fürst zu nennen:

TRaum

Der Traum Kurfürst Friedrichs des Weisen

In der Nacht vom 30. auf den 31. Oktober 1517 hatte Kurfürst Friedrich der Weise, Luthers Landesherr, auf Schloß Schweinitz dreimal hintereinander den gleichen Traum. Er war davon sehr beunruhigt. Am Morgen erzählte er seinem Bruder, Herzog Johann, davon und fragte ihn, was er davon halte, ob er ihn zum Guten oder Schlechten ausdeuten würde.

»Als ich mich am Abend matt und müde zu Bett legte«, begann Friedrich seine Erzählung, »schlief ich nach dem Nachtgebet ein und habe wohl so an die zweieinhalb Stunden geschlafen. Da erwachte ich und lag bis über Mitternacht wach. Ich dachte darüber nach, wie ich und mein Hofgesinde allen lieben Heiligen zu Ehren fasten und ihre Jahrestage begehen sollten, ich betete für die armen Seelen im Fegefeuer, bat Gott um Gnade und daß er meine Räte und mein Land in rechter Wahrheit leiten und zur ewigen Seligkeit führen, auch alle bösen Buben von unserer Herrschaft fernhalten möge und anderes mehr.

Allmählich schlief ich wieder ein, und da träumte mir, daß Gott einen Mönch von feinem und ehrbarem Angesicht zu mir geschickt habe, und der war der Sohn des Apostels Paulus. Zu Gefährten hatte er alle lieben Heiligen, des zum Zeugnis, daß er wahrhaftig von Gott und nicht vom Teufel gesandt sei. Er bat mich im Namen des Herrn um die Erlaubnis, etwas an die Schloßkirche zu Wittenberg schreiben zu dürfen, und das würde mich nicht gereuen.

Ich gestattete es, und er begann zu schreiben mit so großen Buchstaben, daß ich es in Schweinitz lesen konnte, und mit einem Federkiel, der bis nach Rom reichte und mit dessen oberem Ende er einem dort liegenden Löwen beide Ohren durchbohrte, ja, es stieß bis an die dreifache Papstkrone, daß sie wackelte und herabzufallen drohte. Da streckten wir, Euer Liebden und ich, unsere Arme aus, um sie vor dem Fall zu bewahren. Darüber erwachte ich und hatte noch den Arm ausgestreckt.

Bald schlief ich wieder ein, aber der Traum überfiel mich erneut. Der Mönch schrieb und schrieb und stach immer weiter durch die Ohren des Löwen auf den Papst. Da begann der Löwe plötzlich so greulich zu brüllen, daß ganz Rom und alle Stände des Heiligen Römischen Reiches zusammenliefen, um zu erfahren, was es gäbe. Da forderte der Papst die Stände auf, dem Mönch das Schreiben zu wehren, und sie wandten sich an mich, als Landesherr sollte ich ihm das untersagen.

Wieder erwachte ich darüber und wunderte mich nur, daß der Traum sich wiederholt hatte. Ich bat Gott, er möge den Papst vor allem Übel bewahren. Wieder eingeschlafen, träumte mir zum dritten Mal von dem schreibenden Mönch und daß die Reichsstände und wir, Euer Liebden und ich, in Rom wären und versuchten, die lange Feder zu zerbrechen, damit der Papst durch sie nicht mehr belästigt werde. Aber die Feder schien aus Eisen, und sie knarrte bei dem Versuch, sie zu knicken, so sehr, daß es mir in die Ohren stach und durchs Herz ging. Da schwante mir, daß der Mönch vielleicht mehr könne als nur Brot essen. Enttäuscht zog alles aus Rom ab und war besorgt, daß der Mönch Schaden anrichten könnte.

In mein Land zurückgekehrt, fragte ich ihn, woher er diese Feder habe, die so fest und zäh ist. Da ließ er mir sagen, sie stamme von einer hundertjährigen böhmischen Gans, einer seiner alten Schulmeister habe sie ihm verehrt, und er habe sie selbst zurechtgeschnitten. Daß sie so unverwüstlich sei, liege daran, daß man ihr den Geist nicht nehmen noch ihr – wie bei anderen Federn – die ›Seele‹ herausziehen könne. Darum habe er sie aufbewahrt und bediene sich ihrer. Da plötzlich verbreitete sich das Gerücht, daß aus dieser wundersamen Feder weitere herauswüchsen und daß sich viele gelehrte Männer in Wittenberg um diese jungen rissen, von denen es hieß, sie würden auch so lang und fest werden wie die Feder des Mönchs.

Als ich endlich beschloß, mit dem Mönch zu reden, erwachte ich und konnte nicht wieder einschlafen. Ich prägte mir alles ein, was ich geträumt hatte, und sann, was das alles zu bedeuten habe.«

Außer mit seinem Bruder sprach der Kurfürst Friedrich auch mit seinem Kanzler über den sonderbaren Traum. Beide meinten, von Träumen sei nicht viel zu halten, aber man solle sie auch nicht ganz verachten. Und sie fügten hinzu, wenn man nur wüßte, ob der Traum von Gott oder vom Teufel eingegeben sei. Schließlich rieten sie dem Fürsten, sich darüber nicht länger zu grämen und zu martern. Zu rechter Zeit werde die wahre Bedeutung des Traums wohl noch ans Licht kommen.

Der Kurfürst aber sagte: »Mir geht der Traum nicht aus dem Sinn. Ich hätte schon Gedanken, wie er auszulegen sei, aber die behalte ich vorerst noch für mich. Ich werde sie jedoch aufzeichnen, und vielleicht werde ich dann später erfahren, ob ich das Rechte getroffen habe.«

(Bild o.: Lukas Cranach d. J., Die Reformatoren im Weinberg des Herrn; in der Mitte o. Luther, rechts am Brunnen Melanchton)