Missionar und Mörder

Missionar und Mörder

There Will Be Blood“ aus dem Jahr 2007 ist kein Film für gemütliche Kinoabende. Und das noch nicht einmal, weil darin so viel Blut fließen würde, wie der Titel „Es wird Blut geben“ vermuten lässt (dazu kommt es nur am Ende).  Paul Thomas Andersons Streifen, der auf Upton Sinclairs Roman „Oil!“ (1927) beruht, zeigt den Aufstieg eines Silberschürfers, der zum schwerreichen oil man, schließlich Ölmagnaten wird. Daniel Plainviews finanzieller Erfolg hat dabei einen hohen Preis, eine Art innere Höllenfahrt: Betrug, Gewalt, Täuschung, Hass und vor allem Gier begleiten seine Geschäfte.

Plainview (dargestellt von Daniel Day-Lewis, der für seine Rolle 2008 den „Oscar“ erhielt) hat einen großen Widersacher: Eli Sunday, den jungen charismatischen Prediger der „Kirche der Dritten Offenbarung“. Plainview ist der Alleinherrscher über seine Bohrtürme, und Eli Sunday kontrolliert ähnlich umfassend seine Kirche. Die Religion ist in „There Will Be Blood“ nichts anderes als ein Zwillingsbruder des Kapitals, einig in Geist und Gesinnung. Auch in Sundays Religion gibt es viel Geldgier, und genauso geht es um Macht über Menschen, ihre Unterdrückung und Demütigung. Wie Plainview steigt auch Sunday auf, wird zum reichen und weitgereisten Erweckungsprediger.

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Paul Dano als Eli Sunday (l.) und Daniel Day-Lewis als Plainview

Eine große Stärke von Andersons Film ist, dass er neben die Verderbnis der Wirtschaft den tiefen Fall der Religion stellt. Die Kirche ist kaum weniger korrumpierbar wie die Arbeitswelt! Und das ist auch die Sicht der Bibel. Unterdrückung der Armen, Ausbeutung durch Reiche und Mächtige, Betrug im Handel werden in ihr scharf durch die Propheten verurteilt. Doch genauso muss sich die religiöse Elite teils massive Kritik durch dieselben Propheten gefallen lassen. Und liest man die Evangelien nicht durch die religiöse Brille, fällt auf, dass Jesus vielen Menschen gehörig auf die Nerven ging – vor allem den religiösen Führern. Alle Mandate Gottes – Staat, Arbeit, Familie, Kirche – sind von ihm gewollt, aber anfällig für Sünde.

Die Story von  „There Will Be Blood“ ist fiktiv. Manchmal schreibt das Leben aber ähnlich blutige Geschichten. Geschichten, die einen kaum weniger verstören als Andersons Film; Geschichten über Aufstieg und Fall, über Lüge und Mord –  im religiösen Umfeld.

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Am 21. Juli fällte ein Geschworenengericht in Peoria im US-Bundesstaat Illinois nach nur neunzig Minuten Beratung sein Urteil: Nathan Leuthold (s. o. das Polizeifoto) gilt in den Augen der „Jury“ als des Mordes an seiner Frau Denise überführt. Am Valentinstag 2013, gegen Mittag, schoss er ihr in den Hinterkopf und täuschte dann einen Raubüberfall vor.  Das Gericht verhängte 45 Jahre Zuchthaus. Die berufliche Karriere des 39jährigen Baptistenmissionars ist damit beendet.

Um die Jahrtausendwende kam Leuthold das erste Mal nach Litauen, zog bald mit seiner Frau in das Land, lernte litauisch. In der „Gute Nachricht“-Baptistengemeinde in Kaunas, zu der seit vielen Jahren auch Rimas Schwester Irena gehört, wurde der junge Missionar mit seinen Predigt- und Evangelisationsdiensten bald unersetzbar. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass „Natanas“ (in Litauen redet man sich meist mit dem Vornamen an) in der Gemeinde und ihrem Umfeld zu einem Star wurde – beliebt, erfolgreich, richtunggebend und hoch geachtet. So sehr geachtet, dass die brüderliche Wachsamkeit und Ermahnung auf der Strecke blieb.

Leuthold befreundete sich mit einer Familie, zu deren Kindern auch die heute 21jährige Aina gehört. Der Amerikaner wurde zum väterlichen Freund und Begleiter der Heranwachsenden. Diese Fürsorge intensivierte sich, und nicht zu selten war der Missionar dann allein mit dem Teenager unterwegs.

Diese seltsam intensiven Kontakte blieben in der Gemeinde nicht verborgen. Älteste suchten das klärende Gespräch mit den beiden. Doch man vertraute den Beteuerungen des Missionars, der abstritt, eine illegitime Beziehung zu führen. Leider wurden keinerlei Vorsichtmaßnahmen angeordnet. Offensichtlich wagte es niemand, den Star-Missionar der Gemeindedisziplin zu unterstellen und seine Lebensführung in irgendeiner Weise wirklich zu kontrollieren.

Vor allem fühlte man offensichtlich nicht der dritten involvierten Person auf den Zahn, Nathans Frau Denise. In der Ehe muss es schon lange vor 2013 gekriselt haben. Eine offene Aussprache von Herzen hätte wohl manch Düsteres ans Tageslicht gebracht. Aber in dieser sehr konservativen Strömung des Baptismus (US-Gemeinden bezeichnen sich gerne als „old-fashioned, independent, fundamental, King James Bible only“) hat die Frau fast nichts zu sagen und auch nichts zu melden – und hier wäre wohl etwas zu melden gewesen.

Man kann nur vermuten, dass die Brüder der Gemeinde innerlich gehemmt waren und dachten: Wie kann es sein, dass so ein Elite-Christ eine unglückliche Ehe führt?  Undenkbar! Und Denise wird sich womöglich gefragt haben: Will ich wirklich die erfolgreiche Missionskarriere meines Mannes bremsen oder gar zerstören, indem ich alle Karten auf den Tisch lege?

Vor einigen Jahren zog die Familie wieder in die USA, wohl auch wegen der Kinder. Leuthold reiste jedoch weiterhin regelmäßig nach Litauen. Sicher nicht zufällig arrangierte er nun einen Studienaufenthalt für die inzwischen erwachsene Aina im Land, zuerst in Florida, dann im näheren Chicago. Er trat als ihr Sponsor auf, der den Lebensunterhalt der jungen Frau zu 90 Prozent finanzierte.

Am vierten Verhandlungstag in Peoria sagte David Sexton aus, Pastor der LaMarsh Baptistenkirche, die die Familie mitunterstützte. Er berichtete von einem Gespräch mit dem Paar, acht Monate vor dem Mord. Der Pastor drückte sein Missfallen über das „Herumfahren“ Leutholds mit der litauischen Studentin aus.  Würde dies fortgesetzt, werde die Kirche die finanzielle Hilfe streichen.

Eigentlich genau die richtige Maßnahme, doch sie kam wohl zu spät. Denn absurderweise hat diese Androhung Leuthold wohl eines klargemacht: Er kann die Beziehung zu Aina so nicht weiter mit seiner Missionarslaufbahn vereinbaren. Will er den Job mit viel Ansehen und Einfluss behalten (und, laut Presseberichten, etwa 5000 Dollar im Monat), so muss er das Verhältnis mit Aina legalisieren, sie also irgendwann heiraten. Nur steht dafür seine Frau im Wege. Eine Scheidung ist tabu, also bleibt nur eins: Denise muss beseitigt werden.

Der Prozess unter der Leitung von Richter Kevin Lyons brachte keinen rauchenden Colt zu Tage (die Mordwaffe, eine Glock, wurde nicht gefunden), und auch Bekenntnisse von Leuthold oder auch von Aina (die aber nur als Zeugin befragt wurde) gab es nicht. Eine Liebesbeziehung stritten sie immer ab. Und auch der faktische Ehebruch konnte beiden nicht nachgewiesen werden.

Die Staatsanwaltschaft stützte sich auf Indizien – und die sind erdrückend. Der Raubüberfall erschien den erfahrenen Polizisten am Tatort gleich als unglaubwürdig, zu schlecht inszeniert. Vor allem wurde natürlich die elektronische Kommunikation des Verdächtigen durchstöbert: SMS, E-Mails usw. Fündig wurde man auch bei Suchanfragen im Internet (Experten sind heute ja durchaus in der Lage, diese wieder auszubuddeln). Sie drehten sich dutzendweise nur um eines: Wie man jemanden unauffällig beseitigen kann (z.B. „how to hide the sound of a gunshot“).  Äußerst belastend waren auch zahlreiche gemeinsame Hotelaufenthalte und SPA-Besuche des Paares. Schließlich entdeckte man in einem Zeitplaner der Ermordeten einen Hinweis auf konkrete Todesangst: „Ich weiß, dass du mich tot sehen willst. Warum demütigst du mich so und läufst mit einer 20jährigen herum? Wie lange willst du mir das noch antun? Oh ja, bis ich zerbreche.“

Eine tragische Geschichte, die schockiert, aber den Bibelkenner nicht allzu sehr überraschen sollte. Schließlich lesen wir im AT vom Totschläger Mose und dem heimtückischen Mörder David, den auch eine Frauengeschichte zu Fall brachte. Der Monarch rettete seine Königskarriere, weil er von Herzen Buße tat. Insofern hat auch Leutholds Geschichte noch ein offenes Ende.

Die „Gute Nachricht“-Gemeinde, geleitet von Rimas Schwager Artūras, wurde und wird durch die Vorgänge gehörig durchgeschüttelt. Schon bald nach Leutholds Festnahme bildeten sich zwei Lager heraus: Eine Gruppe, die dem Missionar diesen Mord zutraut, und eine andere, die ihn für unschuldig hält. Denn jeder Star hat natürlich seine verschworene Fangemeinde, deren Glauben auch durch einen Gerichtsbeschluss kaum erschüttert werden kann.

Die Gemeinde steht vor der Herausforderung der Aufarbeitung der ganzen Geschichte.   Schmerzhaft wird es sicher. Warum hat man einen Missionar zu einem Halbgott werden lassen? Personenkult – wie lässt er sich in Zukunft verhindern? Wie kann die Gemeindedisziplin so gestaltet werden, dass Tragödien dieser Art frühzeitig ein Riegel vorgeschoben wird? Und welche Stimme sollen Frauen haben? Denn in einer Kultur der mutigen und offenen Aussprache für beide Geschlechter wäre womöglich Schlimmeres verhindert worden.

Am im Moment macht sich die Gemeinde eher andere Sorgen. Das Medien-Echo in den USA war regional im Staat Illinois natürlich groß, erreichte aber auch landesweite Nachrichten (s. ganz o. ABC). Man fürchtet nun, dass Zeitungen oder Nachrichtenportale in Litauen von der Geschichte, die ja eng mit dem Land verbunden ist, Wind bekommen und dann womöglich auch die Baptisten ins schlechte Licht rücken. Hier hilft nur der mutige Schritt nach vorne: eine Aufarbeitung und Transparenz im Umgang mit den Journalisten. In vielen evangelischen Kirchen des Landes ist dies jedoch noch völlig unüblich.

Auch Missionare können tief fallen. Theoretisch unterschreibt jeder so einen Satz. Doch seien wir ehrlich: Hat nicht Mark Greene recht, wenn er – natürlich überzeichnend, aber dennoch wahr – das Bild unserer frommen Kultur so skizziert:  Viele Christen glauben, „dass richtig heilige Menschen Missionare werden, weniger heilige Pastoren – und Leute, die für Gott von keinem großen Nutzen sind, bekommen einen Job“ (s. auch hier).

Journalen und Rundbriefen von Missionswerken würde es gut anstehen, nicht nur Ermutigungs- und Erfolgsgeschichten zu berichten. Sicher sind es in erster Linie diese, die für Spenden sorgen. Schließlich wollen Förderer sehen, dass Gelder sinnvoll eingesetzt werden und etwas bewirken. Doch das mitunter einseitige Bild vom gesegneten Missionarsdasein verstärkt, auch wenn meist natürlich ungewollt, das Image der Elite-Christen. Scheidung und Depression, Gewalt und Mord, Ängste und  Versagen: ‘normale’ Christen haben damit oft zu ringen – Missionare etwa nicht? Wenn offen über solche Herausforderungen geredet wird, kann sich eine Kultur, in der Diener Gottes zu fast schon unberührbaren Halbgöttern werden, erst gar nicht bilden.

Missionare brauchen Unterstützung, Beratung und Ermahnung. Und tatsächlich tun viele Werke hier Vorbildliches, gerade in Europa, wo die Betreuung der Missionare dichter ist als vom fernen Amerika aus und wo meist mehr Wert auf eine feste Einbindung der Mitarbeiter in lokale Gemeindestrukturen vor Ort gelegt wird.

Alle Christen bleiben Sünder und sind auf Beistand angewiesen, um der Versuchung von Geld, Macht und Sex widerstehen zu können. Für Missionare werden z.B. Aussendungsgottesdienste veranstaltet, in denen Gemeinden den Auszusendenden Rückhalt vermitteln. Im Grundsatz ist dies nur zu begrüßen. Doch der Schuss kann unter Umständen auch nach hinten losgehen. Die Gefahr besteht hier, dass der Dienst des Missionars in seiner Bedeutung überbewertet und das Ego eines narzisstisch Veranlagten auch noch aufgeblasen wird. Du bist auserwählt, du bist der Mann Gottes, und Gott hat in dem und dem Land Großes mit dir vor! Was macht das mit einem, wenn man Sätze dieser Art zu oft hört? Natürlich ist Leuthold zuerst persönlich für seine Untat verantwortlich. Doch um vom Missionar zum Mörder zu werden, muss man zuvor in gefährliche Höhen der Selbstverliebtheit aufgestiegen sein. Und so ein Aufstieg ist nur auf kräftigen Aufwinden möglich. Natürlich bleibt es Spekulation, doch man kann sicher sein, dass sich im Fall von Nathan Leuthold ähnliche Dinge abgespielt haben.

Daher schlage ich als parallele Maßnahme vor, auch Gottesdienste für die Entsendung von Berufstätigen in ihre säkulare Missionswelt durchzuführen (das ist ja auch das Herzensanliegen von Mark Greene und der Arbeit des LICC). Hier ist von Berufungen in Bank, Apotheke oder Versicherung zu reden. Hier können einzelne Berufsgruppen für ihren Dienst in Verwaltungsämtern, Schulen, Handwerksbetrieben, Fabriken und Großküchen ermutigt werden. Daneben werden es die Auslandsmissionare gewiss nicht schwerer haben. Aber jedes elitäre Denken und Benehmen und jede falsche Hierarchie, von der Greene spricht, kann in so einem Umfeld nicht entstehen. Und vielleicht ein Nebeneffekt: Es wird weniger Blut geben.