Dem Kaiser geben – doch wieviel?

Dem Kaiser geben – doch wieviel?

Steuern: tagein, tagaus kommen wir mit ihnen in Berührung. Wir kaufen Dinge und verkaufen, wir arbeiten und nutzen Dienstleistungen – bei sehr vielen Transaktionen werden Abgaben an den Staat abgeführt. Und genauso regelmäßig nehmen wir Leistungen in Anspruch, die mit Steuergeldern finanziert wurden. Steuern sind jedoch keine Mitgliedsbeiträge wie in Vereinen oder Kirchen; sie sind keine ‘normale’, d.h. freiwillige Zahlung für Güter und Dienstleistungen, denn es ist schließlich nicht gestattet, bei Unzufriedenheit nicht zu zahlen. Steuern sind Zwangsabgaben, was sie nicht zuletzt zu einem wichtigen Thema der Ethik macht. Denn überall, wo Zwang und Gewalt im Spiel sind, muss gefragt werden, inwieweit diese berechtigt sind und in welchem Umfang sie erfolgen dürfen.

Der lange Weg in den Steuerstaat

Blicken wir zuerst in die Geschichte. Im Grunde entstand die Idee von Steuern als Beitrag der Bürger zum Gemeinwesen sehr früh. Ein geordnetes, zivilisiertes Zusammenleben und gegenseitige Unterstützung erfordern Beteiligung der Bürger und auch Geldmittel. Allerdings bedeutet dies nicht automatisch, dass Abgaben in großem Umfang von allen mit Zwang eingetrieben werden. Heute können wir uns kaum etwas anderes als den „Steuerstaat“ vorstellen. Zivile Herrschaft hat sich aber historisch auf vielerlei Weise gestaltet, und erst recht spät, in den letzten beiden Jahrhunderten entstand das moderne Steuersystem.

In der Antike wurden außerhalb von Notzeiten nur selten direkte Steuern erhoben. Die öffentliche Sache besorgten z.B. bei den Griechen die Bürger weitgehend selbst. Staatsämter waren weitgehend Ehrenämter. Das Gemeinwesen brauchte, von Kriegszeiten abgesehen, kaum finanzielle Mittel, die meist durch gemeindeeigenen Grund und Boden, Bergwerke, Zölle, Strafzahlungen und Gerichtsgebühren erbracht wurden. Der Dienst freier Bürger im Gemeinwesen musste dabei natürlich in Griechenland von anderen geschultert werden: den Kaufleuten und Nichtbürgern wie Fremden, Frauen und Sklaven.

In Rom begegnet uns schon eine Vielfalt an Steuern. Die Römer entwickelten ein Katastersystem, durch das der Grundbesitz recht genau erfasst wurde. Es verwundert also nicht, dass die zwei wichtigsten der vielen Steuerarten die Kopfsteuer (tributum capitis; lat. tributum: Beitrag‚ öffentliche Abgabe) und die Grundsteuer (tributum soli) waren. Man schätzt die Steuereinnahmen im Reich in der früheren Kaiserzeit auf eine Milliarde Sesterzen, d.h. bei ein Bevölkerung von etwas über 60 Mio ergab sich eine Belastung von rund 15 Sesterzen pro Kopf und Jahr. Zum Vergleich: 6,5kg ungemahlener Weizen kostete etwa 3 Sesterzen. Dies relativ geringe Steueraufkommen ist auch dadurch zu erklären, dass der Finanzbedarf häufig durch Tribute gedeckt wurde, die unterworfenen Völkern auferlegt wurden. Durch siegreiche Kriege kam der römische Staat seit Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. in den Besitz erheblicher Geldmittel, so dass sich die Abgabenlast der römischen Bürger verminderte. In eroberten Gebieten außerhalb Italiens konnte daher die Steuerlast schwer und erdrückend sein.

Judäa stand Jahrhunderte unter fremder Herrschaft und war damit für die Besatzer Finanzquelle. Auch der Aufstand der Makkabäer gegen die Seleukiden im 2. Jahrhundert v. Chr. muss zumindest teilweise als eine Befreiung von ihrer Auspressung gesehen werden. Doch die Belastung unter den Hasmonäern, den Herrschern im jüdischen Makkabäerreich, blieb wegen eines recht großen Heeres groß. Nach der Eroberung durch die Römer 63 v. Chr. verlangten diese dann Kriegsentschädigungen. Auch in Palästina führten sie ihr Verwaltungssystem ein, ließen Steuerschätzungen durchführen (wovon wir auch in der Weihnachtsgeschichte lesen), erhoben eine Grund- und Kopfsteuer.

Zur Zeit Jesu unterlagen die Juden somit einer doppelten Belastung: Mit Abgaben mussten der Tempeldienst und Opfer finanziert werden; Priester- und Levitenstand sowie die hohepriesterliche Aristokratie galt es zu versorgen. Hinzu kamen die Kosten der römischen Fremdherrschaft. Die Römer hatten das schon von den Ptolemäern eingeführte Pachtsystem übernommen: Steuerpächter, die Zöllner im NT, zahlten Rom eine fixe Summe und trugen dann das Risiko, falls sie diese nicht eintreiben konnten. Erzielten sie aber mehr, konnten sie den gesamten Profit behalten, was den Hass auf die Zöllner begründete. Es wird geschätzt, dass die Höhe der Belastungen der Landbevölkerung wohl ein Drittel des landwirtschaftlichen Ertrages betrug – sehr viel in der Antike.

Im byzantinischen Reich war jeder Bürger, der über Grund und Boden verfügte oder mit Waren und Produkten handelte, einer Steuer unterworfen. Hinzu kamen Fronleistungen der Landbevölkerung. Wie schon in Rom war ein großes Heer zu unterhalten, von dessen Schutz man profitierte. In anderen Völkern wie bei den Franken hatten sich ganz andere Traditionen herausgebildet. Die germanischen Franken waren durchaus bereit, Leistungen für Staat und König zu erbringen. Bei ihnen (und anderen germanischen Reichen) galt aber lange die Heerfolgepflicht: die Freien mussten das Land selbst verteidigen. Daher bestritt man die Berechtigung des Königs, überhaupt Steuern zu verlangen, sah es als Einbuße der Freiheit an, jemandem regelmäßig eine Abgabe leisten zu müssen. Gegen Steuerforderungen im engeren Sinne setzen sie sich daher oft zu wehr.

Durch das ganze Mittelalter hindurch galt der Grundsatz, dass die Herrschaftsträger vor allem von den Gütern in ihrem direktem Besitz leben und die ‘öffentlichen’ Aufgaben bestreiten sollten. Ob nun Könige, Fürsten, Grundherren, geistliche Herrschaften und immer mehr auch Städte – sie alle verfügten über Güter wie Land oder Wälder und entsprechend Einkünfte. Noch für Thomas v. Aquin war diese Form der Finanzierung die gottgefälligste: „Daher sind den Herren Güter zugewiesen, dass sie daraus ihren Unterhalt bestreiten und sich enthalten, ihre Untertanen zu berauben.“

Direkte Steuern von allen Untertanen gab es daher kaum. Es dominierten in Europa lange indirekte Abgaben wie Zölle. Populär wurden auch Akzisen – Verbrauchsteuern wie auf Bier, Wein oder Salz, die recht einfach (z.B. an den Stadttoren) und ohne großen Aufwand erhoben werden konnten und gegen die man sich nur durch Verzicht wehren konnte.

Zur Entwicklung des modernen Steuerstaates haben vor allem Kriege und das Militärwesen beigetragen. Entsprechend dem Grundsatz, vom eigenen Gut zu leben, kamen die ersten Kreuzfahrer nach Palästina für ihre Kosten noch ganz selbst auf. Als ein Kreuzzug auf den anderen folgte und die ‘privaten’ Mittel nicht mehr ausreichten, wurde 1146 von Ludwig VII von Frankreich eine erste allgemeine Hilfssteuer für die Kreuzfahrerstaaten erhoben; eine weitere folgte 1166 unter Heinrich II von England und Philipp August von Frankreich – die erste echte Einkommenssteuer überhaupt. 1188 wurde gar der sog. „Saladinszehnt“ eingeführt (benannt nach dem Anführer der gegnerischen Muslime): Wer nicht am Kreuzzug teilnimmt, muss zehn Prozent an Einkünften und Vermögen zahlen. Heinrich II ließ diesen Zehnten rücksichtlos eintreiben, so dass für damalige Verhältnisse gewaltige Summen zusammen kamen. Nicht wenig groß war jedoch auch der Widerstand. Im 13. Jahrhundert übernahm dann das Papsttum die Ausschreibung und Eintreibung der Kreuzzugssteuern.

Im christlichen Europa des Mittelalters galt es lange als ungeschriebenes Gesetz, dass große Reiche einander nicht ernstlich anfochten. So war das Militär noch nicht aufwendig organisiert. Durch den Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich angetrieben formte sich dann in Westeuropa schneller als anderswo ein ‘moderner’ Staat mit neuen finanziellen Ansprüchen. Aber auch in den italienischen Republiken wurden Söldnerheere unterhalten, die viel Geld kosteten, was die Expansion des Staates vorantrieb und die Staatsverschuldung in Gang brachte.

Ab dem 16. Jahrhundert wurde die Kriegsführung in erheblichem Maße von Geld abhängig. J. Kunisch: „Einen tiefgreifenden Einschnitt in die Geschichte frühmoderner Staatsbildung stellte die konsequente, mit hohen Kosten… durchgeführte Unterstellung des gesamten Militärapparates unter die Kontrolle und Verfügungsgewalt des Landesherren dar. Erst der nach Omnipotenz und Alleinherrschaft strebende Fürstenstaat des Absolutismus war dazu in der Lage… Alle Macht sollte in der Hand des Fürsten liegen und niemandem… eine Mitsprache zugestanden werden.“ („Wallenstein als Kriegsunternehmer“ in: Es begann mit dem Zehnten)

Die neuen absolutistischen Staaten wie zuerst Frankreich, später Preußen und andere, benötigten Soldaten nicht mehr nur im konkreten Fall eines Krieges, für den man zuvor jeweils einzelne Abgaben erhoben hatte, sondern auch in Friedenszeiten. Die „stehenden Heere“ bildeten sich heraus, permanente Armeen. Dafür waren deutlich mehr Steuern als früher notwendig. Schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts schrieb Montesquieu in Vom Geist der Gesetze: „In Europa hat sich eine neue Krankheit ausgebreitet; unsere an ihr erkrankten Herrscher müssen riesige Heere unterhalten. Die Krankheit wird immer schlimmer und ist ansteckend, denn sobald ein Land das vergrößert, was es seine Armee nennt, werden andere Staaten das gleiche tun, so dass es im Ergebnis zu nichts anderem als einer allgemeinen Verarmung kommt.“ Der Historiker Michael Stürmer in „Hungriger Fiskus – schwacher Staat“: „Zusammen wurden sie geboren, wurden groß und stark und mächtig: der Soldat und der Steuereinnehmer. Denn Soldat kommt von Sold, und Sold bedeutet Geld, und Geld, wenn es in die Hand des Staates kommen soll, heißt zuletzt immer Steuer… Der Steuereinnehmer ernährte den Soldaten, und der Soldat schützte, ging es hart auf hart, seinen Ernährer, den ‘Fiskal’…“ (in: Es begann mit dem Zehnten)

Der frühmoderne Staat war jedoch – im Vergleich zu heute – immer noch recht schwach: recht wenig Beamte, wenig Steuern, wenig Eingriffe in Produktion und Verteilung und auch noch überschaubare Heere. Noch bis ins frühe 19. Jahrhundert blieb der Besitz an Wald und Domänen die Basis der staatlichen Finanzwirtschaft. Im 18. Jahrhundert waren in den Städten Europas die schon genannten Akzisen, eine Art Binnenzoll, Hauptsteuer. Nur Frankreich mit z.B. hohen Ausgaben für die Hofhaltung hatte ein recht hohes Steuerniveau erreicht, dabei schon 50 % direkte Steuern. Die Schonung des Adels und des Klerus verstärkte die Unzufriedenheit der Bevölkerung weiter.

Jean Baptiste Colbert (1619-1683), Finanzminister unter Ludwig XIV, wusste: „Steuern erheben ist die Kunst, die Gans so zu rupfen, dass man möglichst viele Federn mit möglichst wenig Gezische bekommt.“ Wenig Gezische gibt es, wenn man einzelne Gruppen ausnimmt, die eh am Rande der Gesellschaft stehen. Über Jahrhunderte traf es daher in Europa vor allem die Juden, die zahlreiche Sondersteuern zahlen mussten. Was gab es da nicht alles: Krönungssteuer, Türkenhilfe, Stadtgrabengelder und „Geld für den Hecht, der in der Karwoche dem Rektor Magnificus der Universität geschenkt wird“ (in Mainz 1724). In Preußen mussten die Juden bei Eheschließungen, Geburten, Hochzeiten, Todesfällen und dem Hausbau kräftig zahlen, und 1769 wurde sogar befohlen, dass die Juden bei besonderen Anlässen Porzellan zu kaufen und im Ausland abzusetzen hatten (1788 aufgehoben). Noch diskriminierender wirkte bis Ende des 18. Jahrhunderts im Deutschen Reiche der sog. Leibzoll: Juden mussten sich an den zahlreichen Zollstationen gleichsam selbst verzollen.

Wie schon gesagt führten Kriege die Steuerentwicklung immer wieder voran. Dies gilt auch für die Lohn- und Einkommenssteuer. Dauerhaft wurde sie erstmals 1799 in Großbritannien eingeführt, da die Kriege gegen Napoleon viel Geld forderten. 1820 wurden in Preußen sämtliche direkten Steuern abgeschafft und durch eine einheitliche Einkommenssteuer ersetzt. In Frankreich wurde sie erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in anderen Ländern noch später (USA 1913) eingeführt. Auch eine allgemeine Umsatzsteuer wurde im Krieg erfunden: Ab Juli 1918 wurde sie zuerst in Deutschland mit 0,5% auf alle Waren erhoben (ab 1920 auf 1,5%). Auch nach dem I Weltkrieg wurde dort gegen die finanziellen Lasten mit Steuern angekämpft: Die Reformen des Finanzministers Erzberger führten dazu, dass an die Stelle der früheren Einkommenssteuern der deutschen Einzelstaaten von vier Prozent eine gesamtdeutsche Steuer trat, die nun aber progressiv von zehn bis sechzig Prozent reichte. Der Anteil der Steuern am Sozialprodukt von knapp zehn Prozent vor dem Krieg verdoppelt sich so fast auf 18 Prozent 1925.

Neben den kriegerischen Auseinandersetzungen trieb vor allem nach dem II Weltkrieg das Prinzip des Wohlfahrtsstaates die Steuerquote nach oben. Inzwischen geben europäische Staaten meist um die 40% eines nationalen Budgets für soziale Zwecke aus. Je umfangreicher die staatlichen Aufgaben wurden, umso größer wurde die Steuerlast. Nicht wenige Arbeitnehmer in Europa können von ihren Verdiensten nur etwa die Hälfe behalten – der Rest wird vom Staat oder Pflichtversicherungen abgezogen. So hat sich auch in Friedenszeiten z.B. in Deutschland das Steueraufkommen von 10 Mrd 1950 (im Westen) zu etwa 600 Mrd sechzig Jahre später entwickelt. Die Staatsquote erreichte in den meisten Industrieländern zwischen 40 und 50 Prozent.

Der Charakter der Steuer

Diese kurze geschichtliche Abriss soll mehrere Dinge verdeutlichen: Erstens muss eine zivile Obrigkeit nicht unbedingt oder ganz überwiegend durch Steuern finanziert werden. Gewiss sind Brandschatzung und Plündern sowie das Unterjochen anderer Völker die brutalste Form der Geldeintreibung – Steuern sind da schon menschenfreundlicher. Doch es ist nicht zu vergessen, dass es historisch auch andere Modelle gab.

Zweitens ist daher zu unterscheiden zwischen dem Staat als Ordnung und dessen Ausdehnung, Organisation und Finanzierung. Dies ist deswegen unbedingt festzuhalten, weil heute gerne jede Kritik an Steuern als Kritik am Staat bzw. der Obrigkeit als solcher dargestellt wird. Auch wenn eine staatliche Obrigkeit nach dem Sündenfall biblisch geboten ist und insofern natürlich ist, heißt dies noch lange nicht, dass man unser heutiges Steuersystem gutheißen muss.

Drittens gibt es keine ‘natürlichen’ Steuern, d.h. solche, die immer und überall erhoben worden sind und deren Abgabe irgendwie in der Natur der Sache selbst begründet läge. Es gibt keine ‘selbstverständliche’ Steuer. (Damit wird es auch schwierig, von einer „gerechten“ Steuer zu sprechen; der Staat hat wohl das grundsätzliche Recht, Steuern zu erheben, und wenn er ein bestimmtes Maß an Aufgaben überschreitet, begibt er sich ins Unrecht, handelt ungerecht, s.u. Wie aber einzelne Steuern nach dem Maß ihrer Gerechtigkeit zu bewerten sein sollen, ist kaum einsichtig zu machen. So erschien es früher gerecht, den Adel weniger zu belasten, und heute wird jeder, der an der besonders hohen Besteuerung der Reichen durch progressive Steuern zweifelt, als ein Feind der Gerechtigkeit verunglimpft; ein Kopfsteuer, engl. poll tax, nach der jeder das gleiche zahlt, hat eine lange Tradition [s. auch Ex 30,15!], gilt nun aber als völlig ungerecht. – Ich würde vielleicht nicht so weit gehen wie Roland Baader, der das Wort „Steuergerechtigkeit“ für absurd hält, doch in jedem Fall sollte es vor falscher Vereinnahmung geschützt werden.)

Viertens zeigt sich historisch recht gut, dass ein enger Zusammenhang zwischen staatlicher Macht und  der Erhebung und Durchsetzung von Steuern besteht. Oder anders formuliert: Der Staat nimmt sich, was er sich zu nehmen und zu holen in der Lage ist. Einkommens- und Umsatzsteuer erscheinen uns heute als selbstverständlich, doch sie werden allgemein erst seit ein- bzw. zweihundert Jahren erhoben, weil vorher bürokratischer Apparat und die Möglichkeiten der technischen Überwachung nicht ausreichend entwickelt waren – der Arm des Staates reichte einfach nicht weit genug. Erst in den letzten beiden Jahrhunderten wurden Staaten mächtig genug, im großen Umfang hohe direkte Steuern einzutreiben. Und diese Mehreinnahmen ließen ihre Macht weiter wachsen.

Fünftens erkennt man, dass schon so gut wie alles einmal besteuert wurde und daher auch alles potentiell besteuert werden kann: Abortsteuer, diverse Luxussteuern, Steuer auf Erker und Balkone, die Tür- und Fenstersteuer der Franzosen noch bis ins 19. Jahrhundert, die Bartsteuer von Peter dem Großen in Russland, Steuer auf Haustiere – manches erscheint uns heute skurril, doch in der historischen Perspektive ist eine allgemeine und noch dazu hohe Umsatzsteuer nicht weniger lächerlich. Hier wirken schlicht Gewöhnungseffekte: zahlt die große Mehrheit der Betroffenen ohne großes Murren, hält man die Steuer irgendwann für selbstverständlich.

Sechstens ist die Tendenz zu sehen, dass Steuern, sind sie einmal eingeführt, so schnell nicht verschwinden – auch wenn der vorgegebene Grund ihrer Einführung nicht mehr gegeben ist. Die Umsatzsteuer aus dem I Weltkrieg hielt sich, als die Waffen längst wieder schwiegen. Die deutsche Heizölsteuer war eingeführt worden, um die heimische Kohle zu schützen. Mit Kohle heizt man nicht mehr, die Steuer blieb. 1902 führte der deutsche Kaiser für seine Flotte die Sektsteuer ein, die es bis heute gibt. Der Staat gewöhnt sich natürlich an Einnahmen, auf die er dann nicht so einfach verzichten will. (In Deutschland wurden die Spielkartensteuer und 1981 die Essigsteuer oder auch 1991 die Speiseeissteuer wieder abgeschafft, doch im Wesentlichen wegen der in Relation zum Ertrag zu aufwendigen Einziehungen.)

Steuern beruhen auf Macht und Willkür, denn noch einmal: wie sollte die „gerechte“ und „natürliche“ Steuer aussehen? Es gibt keinerlei einmütige, begründete Antwort auf diese Frage. Die demokratische Legitimation, d.h. der Beschluss durch Parlamente, ändert daran im Grundsatz auch nichts. Wenn morgen ein Parlament sich irgendeine neue Steuer ausdenken und beschließen kann wie z.B. eine Abgabe auf alle Fahrradfahrer oder Katzenbesitzer oder Wurstgrillenden oder auf Tattoobesitzer, dann ist das zwar zivilisierte Willkür, aber immer noch Willkür.

Um diese Zusammenhänge nicht allzu deutlich werden zu lassen, greift der Staat, siebtens, besonders heute zu zahlreichen Kniffen, um den Steuerzugriff zu verharmlosen. Schon am Ende des 19. Jahrhunderts beschrieb der Italiener Amilcare Puviani in Teoria della illusione nelle entrate pubbliche (dt. Die Illusion in der öffentlichen Finanzwirtschaft, 1960) die Techniken, mit denen Regierungen das Ausmaß der Besteuerung verschleiern. Dazu gehören simple Etikettenschwindel, d.h. die Steuer wird zu einem „Notopfer“, einem „Solidarbeitrag“ oder zu einer „Hilfszahlung“. Immer noch beliebt sind die indirekten Steuern auch deshalb, weil sie unmerkliche Steuern sind: die Steuer ist wie im Fall der Umsatzsteuer im Preis der Güter versteckt.

Puviani nennt z.B. Steuern, die soziale Konflikte ausnutzen, indem sie gesellschaftlich unpopulären Gruppen auferlegt werden. Wir sahen, wie dies früher die Juden waren. Heute nimmt man gerne Lottogewinnern möglichst viel ab. Oder man konzentriert sich auf die Vermögenden, zu denen man natürlich selbst nie gehört. R. Taghizadegan gibt jedoch zu bedenken: „Vermögen sind stets Restbeträge: all das, was nach dem Abzug aller Steuern geblieben ist und nicht direkt verkonsumiert, sondern gespart oder investiert wurde. Zusätzliche Steuern auf solche Restbeträge bestrafen die Vermögensbildung.“ Auch die Besteuerung von Erbschaften wird heute oft gefordert. Doch dies fördert ein vorheriges Abtragen und Verkonsumieren von Vermögen. Der deutsche Ökonom: „Menschen, die ihr Leben lang etwas aufbauen und ansparen, um ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen, nochmals dafür zu besteuern, ist wohl eine der größten Unmenschlichkeiten überhaupt.“ (Wirtschaft wirklich verstehen)

Schon damals ging Puviani auf das Aufnehmen von Krediten ein – eine in die Zukunft verlagerte Steuererhöhung. Auch die Inflation ist eine kaum erkennbare Form der Besteuerung, weil der Staat so seine Schulden schrumpfen lässt und das Vermögen der Bürger entwertet. Henry Hazlitt: „Here we shall have to say simply that all government expenditures must eventually be paid out of die proceeds of taxation; that to put off the evil day merely increases the problem, and that inflation itself is merely a form, and a particularly vicious form, of taxation.“ (Economics In One Lesson)

„Was man sieht und was man nicht sieht“

Zu der allgemeinen Sprachverwirrung trägt natürlich auch bei, dass das Steuerrecht inzwischen ungeheuer kompliziert ist und nur von wenigen, hochspezialisierten Steueranwälten noch durchschaut wird. Ausmaß und Belastung der Besteuerung werden so nur schwierig erkennbar. Dazu tragen auch Haushaltspläne des Staates bei, die kompliziert formulieren und allgemeine Kategorien schaffen wie „Bildung“ oder „Verteidigung“, die gut klingen und kommunizieren sollen: der Staat tut viel Gutes mit eurem Geld.

Der heutige Bürger hat diese Lektion tatsächlich gelernt. Steuerrevolten wie es sie früher noch häufig gab, sind nun fast ganz verschwunden. Man sieht durchaus, dass der Staat nun viele Steuern einnimmt, vielleicht könnte er damit besser umgehen, und sicher würden viele Bürger gerne entlastet werden. Aber tut er mit all dem Geld nicht auch Gutes?

Natürlich können wir dankbar sein, dass Steuergelder heute nicht wie früher in wilden Orgien der Herrschenden oder in teurer Hofhaltung verprasst werden. Doch schon Frédéric Bastiat (1801–1850, s. auch hier) stellte in seinem berühmten Aufsatz „Was man sieht und was man nicht sieht“ fest, dass man naturgemäß nur das beobachten kann, was mit den Steuern gemacht wird und wofür sie ausgegeben werden. Man sieht die Staatsgehälter und die Staatsaufträge, und im besten Fall kann man auf gelungene Bauprojekte, Theater, Museen, Bibliotheken usw. verweisen. Doch, so Bastiat, „den Nachteil, den die Steuerzahler erleiden, wenn sie dies alles bezahlen, sieht man nicht“. Man kann ihn nicht sehen, aber dennoch ist er real. „Wenn ein Beamter zu seinem Vorteil hundert Sous mehr ausgibt, schließt dies ein, dass ein Steuerzahler hundert Sous weniger zu seinem eigenen Nutzen ausgibt. Aber die Ausgabe des Beamten ist sichtbar, weil sie getan wird, während die des Steuerzahlers unsichtbar ist, weil man sie – leider – verhindert.“

Es genügt daher nicht, auf mehr oder weniger sinnvolle Verwendung von Steuergeldern zu verweisen. Es muss auch gezeigt werden, dass das Wegnehmen des Geldes der Bürger gerechtfertigt ist, weil der Staat bestimmte Aufgaben eindeutig besser erledigen kann (oder nur er sie überhaupt erledigen kann) als die freiwillig kooperierenden Bürger und Unternehmen. Dieser Nachweis ist gar nicht so leicht zu erbringen. Da heute der aufgeblähte Staat fast schon jede Aufgabe an sich ziehen kann, muss nun immer kritisch gefragt werden: Muss der Staat das wirklich machen? Wird fremdes Geld (Steuern der Bürger) für fremde Zwecke (nicht die persönlichen der Beamten) ausgegeben, sagt schon der gesunde Menschenverstand, dass man mit solchen Mitteln tendenziell sorgloser als mit den eigenen, im schlimmsten Fall verschwenderisch umgehen wird. Alles dies impliziert schon, dass möglichst viel Geld in den Taschen der Bürger belassen werden sollte.

„Besteuerung ist Diebstahl“

Auf den letzten Seiten klang schon viel Kritik am heutigen Steuerstaat an. Libertäre Denker wie Murray N. Rothbard (1926–1995) gehen aber deutlich darüber hinaus. Der US-Ökonom meinte in  Ethics of Liberty kategorisch: „Besteuerung ist Diebstahl“, ganz und gar, und zwar „in kolossalem Ausmaß“. Er weist darauf hin, dass es praktisch unmöglich ist, in jeder Definition von Steuer das Element des Diebstahls auszuschließen. Auch die Grundlage einer demokratischen Wahl und der Beschluss einer Mehrheit macht aus dem Steuerzahlen noch keinen freiwilligen Akt. „Mord ist Mord, Diebstahl ist Diebstahl, ob nun von einem Menschen gegen den anderen vollzogen oder von einer Gruppe oder sogar von der Mehrheit eines Volkes in einem Territorium. Die Tatsache, dass die Mehrheit einen Akt des Diebstahl gutheißt oder unterstützt, mindert nicht das kriminelle Wesen der Handlung und die schwere Ungerechtigkeit“. Den Staat nennt Rothbard daher „eine riesige kriminelle Organisation“.

Auch Rothbards Schüler Hans-Hermann Hoppe nimmt kein Blatt vor den Mund. In seinen Augen ist der Staat „eine gigantische Räuberbande“. Steuer sind Diebstahl und Räuberei, ihr Nichtzahlen daher Selbstverteidigung und gerecht. Der in den USA lebende deutsche Ökonom zeigt in den seinen Büchern und Vorträgen, dass die philosophische Begründung für Steuern ungeheuer schwierig ist. Man muss versuchen zu argumentieren, dass Steuern eine vertragliche Grundlage haben, so dass Steuerhinterzieher Vertragsbrecher sind. Ein Versuch ist dabei, Steuern wie eine Nutzungsgebühr zu betrachten. Der Staat ist jedoch nicht Eigentümer des Bodens eines Landes, dem ich für die Nutzung etwas zahlen müsste. Er hat auch keinen  Mietvertrag mit jedem Einwohner geschlossen. Ein weiteres Argument ist, dass die Bürger auf einer „höheren“ Ebene ihre Zustimmung zur Besteuerung gegeben hätten; durch Zustimmung zu einer Verfassung hätten sie gleichsam eine Generalvollmacht ausgestellt. Doch wer hat schon eine Unterschrift unter eine Verfassung gesetzt? Und welche Vollmachten hätte er damit wirklich übertragen? Hoppe zerpflückt gerne die ethischen Grundlagen der Besteuerung und kommt zu dem Schluss: Der Staat belässt uns Leben und Eigentum solange er nicht beschließt, es wegzunehmen – Eigentum ist von Staates Gnaden, weil der Staat Letztrichter ist.

Robert Nozick (1938–2002) war kein „Anarcho-Kapitalist“ wie Rothbard und Hoppe, sondern vertrat in  Anarchy, State and Utopia (1974) einen „Minimalstaat“. Er lehnt daher Steuern nicht völlig ab, behauptet aber, dass „die Besteuerung des Arbeitseinkommens mit Zwangsarbeit zu vergleichen ist.“ Denn „nimmt man einer Person den Lohn von n-Stunden Arbeit, so nimmt man ihm n-Stunden Lebenszeit.“ Weiter führt Nozick aus: „Wenn Personen die Ergebnisse der Arbeit weggenommen werden, werden ihnen Stunden ihres Lebens genommen und für andere Zwecke verwendet. Wenn andere Menschen Sie für eine bestimmte Zeit zur Erledigung einer bestimmten Aufgabe oder zu Arbeit ohne Bezahlung zwingen, dann entscheiden sie völlig unabhängig von Ihren Entscheidungen über das, was Sie machen und welchen Zwecken Ihre Arbeit dient. In dem Maße, indem Ihnen Ihre Entscheidungsbefugnisse entzogen werden, werden diese Menschen zu Teileigentümern an Ihnen; sie erwerben an Ihnen bestimmte Eigentumsrechte.“

Michael Sandel gibt in seinem Bestseller Justice – What’s the right to do? die Einwände gegen Nozicks Argument wider und widerlegt diese aus libertärer Perspektive. Sandel würde sich selbst zwar als Liberalen bezeichnen, ist aber gewiss kein Libertärer. Daher ist umso bemerkenswerter, dass er Nozicks libertäre Perspektive verteidigt und eben nicht dessen Zwangsarbeitsvergleich verwirft. Was er jedoch kritisiert, ist das Prinzip des Selbsteigentums, das Grundlage des Denkens von Rothbard, Hoppe und Nozick ist: der Einzelne hat ein absolutes Besitzrecht über sich selbst. Sandel diskutiert dies anhand von konkreten Fragen wie Verkauf von eigenen Organen, assistiertem Selbstmord und einträchtigem Kannibalismus.

„Wer viel Steuern erhebt, richtet das Land zugrunde“

Wie sieht nun eine christliche Sicht der Steuer aus? Geht man von der Souveränität und Autorität Gottes aus, hat der Staat aus sich heraus nicht einfach das Recht, so viel wie möglich seinen Bürger wegzunehmen. Die Tendenz zur Vergöttlichung des Staates ist unbedingt abzuwehren. Genauso wenig hat aber das Individuum ein absolutes Eigentumsrecht an sich selbst. Dies wird konkret bei der Frage der Abtreibung (menschliches Leben in einer Person), dem Selbstmord und auch den Drogen. Weder der Staat, noch der Einzelne darf alles, unterliegt viel mehr Grenzen. Auch der Vergöttlichung des Individuums (wie sie gerade in den Schriften von Ayn Rand, die viele Libertäre inspiriert hat, zu beobachten ist) ist abzulehnen. Ein Christ sieht außerdem in den Vertragstheorien nicht die Grundlage des Staates und der Steuer. Diese sind seit der Aufklärung der Versuch, Obrigkeit und ihre Kompetenzen (s. Hoppe) ohne Gott zu begründen. Dies ist jedoch letztlich nicht möglich. Auf die Fragen, warum die einen Menschen über andere Herrschaft ausüben und warum den Bürgern Geld abgenommen wird, gibt es letztlich nur eine Antwort:  weil dies Gottes Ordnung ist.

Zu den Steuern selbst sagt die Bibel direkt nicht viel – wir zahlen sie, und Röm 13,6 gibt zu verstehen, dass sie zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben dienen. Da Christen zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit verpflichtet sind, verbietet sich das Nichtzahlen von Steuern (Libertäre wie Hoppe rufen nicht dazu auf, Steuern zu hinterziehen, doch allein aus dem Grunde, weil dies unklug – nicht unmoralisch! – wäre; ein schlechtes Gewissen bräuchte man ihrer Meinung nach dabei nicht zu haben. Eine christliche Position kann dies nicht sein).

Wir können aber noch mehr sagen. Ich halte den Vergleich Nozicks und anderer für sinnvoll und richtig: Steuern sind mit Zwangsarbeit zu vergleichen; sie sind gleichsam monetäre Fron. Wenn man sich dies in Erinnerung führt, wird viel leichter erkennbar, dass Steuern mit Zwang auferlegt werden und dem Zahlenden Arbeit kosten. Der Vorteil dieses Vergleichs ist natürlich, dass Zwangsarbeit emotional viel negativer besetzt ist als Steuern (zumindest für die allermeisten). Steuern auferlegen fällt vielen (vor allem denen, die dieses entscheiden, den Politikern) nicht schwer, aber andere zu zwingen für jemanden zu arbeiten?

Auch der „Tax Freedom Day“ beruht ja auf diesem Gedanken. In den mitteleuropäischen Staaten muss man (aufs Jahr umgerechnet) bis zum Juni oder Juli für den Staat und die gesetzlichen Sozialkassen arbeiten und kommt erst ab diesem Tag der Steuerfreiheit selbst in den Genuss der Früchte der eigenen Arbeit.

Dies führt uns zur Sicht der Bibel. Zahlungen für das Heiligtum wie in Ex 30,11–16 sehen wie heutigen Steuern aus, sind aber nicht mit den Aufgaben der Obrigkeit verbunden. Aber an diesen Abgaben (wie auch am Zehnten) wird erkennbar, dass mit Zwang eingezogene Zahlungen grundsätzlich möglich sind. Steuer im eigentlichen Sinne wird erst mit der Monarchie Thema. In Dt 17,16–17 wird vorausblickend ermahnt, die Ausgaben für Militär und Hof zu beschränken. Vor der Einsetzung des ersten Königs dann die eindrückliche Warnung in 1 Sam 8,11–18 vor Unterdrückung, die in V. 17 gipfelt: „Ihr alle werdet seine [des Königs] Sklaven sein“.  Unter König Salomo erfüllten sich diese Prophezeiungen. In 1 Kön 12,1–19 lesen wir über das „schwere Joch“ (12,4) schon unter Salomo. Sein Sohn Rehabeam verweigerte Erleichterungen, erhöhte die Abgabenlast sogar weiter (12,14), was zum Abfall des Nordens und zur Spaltung des Reiches führte. – „Ein König, der für Recht sorgt, sichert das Gedeihen des Landes; aber einer, der immer neue Steuern erfindet, richtet es zugrunde“ (Spr 29,4).

Steuern sind bis heute eine schwere Last, ein Joch, eine Fron – auch wenn sie subjektiv und natürlich körperlich direkt nicht mehr so erscheinen. Daraus ist aber nicht der Schluss zu ziehen (wie es manche Libertäre tun), dass alle Steuern zu verwerfen sind. Grundsätzlich durfte Salomo die Arbeitskraft seiner Bevölkerung in Anspruch nehmen. Denn es gibt, wie gesagt, kein absolutes Besitzrecht an der eigenen Person. Er hatte nicht die Rechte eines ägyptischen Pharaos, der tatsächlich sein Land mitsamt seinen Einwohnern besaß. So ist ja auch der Begriff „Sklave“ in 1 Sam 8,17 nicht im heute üblichen Sinn zu verstehen. Keiner in Israel war rechtloser Besitz eines anderen (wie Herren in der griechischen, römischen, islamischen Welt ihre Sklaven besaßen); Menschenraub und damit Versklavung im eigentlichen Sinne war im AT verboten (Ex 21,16). Die ‘Sklaven’ wurden zum Arbeitsdienst verpflichtet. König wie alle Herren besitzen in der Bibel daher nicht den Sklaven oder Knecht, sondern dessen Arbeit. (Deshalb gibt es im Hebräischen kein eigenes Wort für Sklave; ebed leitet sich direkt von dem Verb für „arbeiten“ ab; der Sklave ist also der Arbeiter, der nicht direkt für seinen Lohn arbeitet wie die Tagelöhner; Luther übersetzte damals passend „Knecht“, andere wie Huntemann und Schirrmacher sprechen statt von Sklaverei bevorzugt von „Dienstknechtsarbeit“ oder „Schuldknechtschaft“.)

Da die Bibel, wie gesagt, kein absolutes Besitzrecht der Person kennt (man denke auch an die Ehe, s. 1 Kor 7,4), ist es prinzipiell erlaubt, Eigentumsrechte an anderen in Anspruch zu nehmen (s. Nozicks Zitat). Es ist allerdings eine Frage des Ausmaßes! Und der Schluss liegt nun nahe: nur so viel wie wirklich nötig andere zur Arbeit zwingen oder anders gesagt: so wenig wie möglich Steuern erheben.

Und genau dies ist ja auch das Bild, das uns die Bibel zeigt. Christopher Townsend: „Das biblische Gesetz begründet eine klare Präferenz für eine begrenzte zentrale Regierung und eine weite Streuung sowohl von politischer Macht als auch von ökonomischen Ressourcen“ („Render unto Caesar?“,  Cambridge Paper, Sept. 2001) Und Paul Mills: „Ein zentralisiertes staatliches System der Besteuerung von Einkommen, Vermögen oder Ausgaben war in Israel nicht nötig, da der zentrale Regierungsapparat begrenzt war. Das System der Strafjustiz und des Militärs war so strukturiert, dass ein stehendes Heer, Gefängnisse und ein Polizeiaufgebot nicht erforderlich waren.“ Natürlich leben wir heute in komplexeren Gesellschaften, doch noch immer können wir mit Mills diese Prinzipien ableiten: „Die Verbindung von niedrigen Steuern, eine kleiner staatlichen Infrastruktur, einem stabilen Preisniveau und geschützten Eigentumsrechten haben wirtschaftliches Wachstum durch Anreize zur Arbeit, zum Sparen und zu Investitionen gefördert.“ Und weiter: „Die Schlüsseleinsicht aus dem Modell des ATs ist wahrscheinlich, dass Regierungen nicht in die Produktmärkte durch Staatseigentum an den Produktionsmitteln eingreifen und sich nicht auf Steuern verlassen, um weitere Ziele des Wohlstandsumverteilung zu erreichen… Die Betonung sollte auf der Bewahrung des institutionellen Rahmens liegen, der es einer marktorientierten Wirtschaft erlaubt zu blühen. Eine Landreform, die einem bedeutenden Anteil der Bevölkerung einklagbarer Eigentumsrechte zusichert…, ist der grundlegende Schritt zur Schaffung einer dezentralen  unternehmerischen Gesellschaft.“ („The Economy“, in The Jubilee Manifesto, ed. M. Schluter, J. Ashcroft)

Gibt es eine christliche Steuerpolitik?

Schon vor einhundert Jahren warnte der niederländische Staatsmann und Theologe Abraham Kuyper (1837–1920) vor einem zentralistischen Staat, der einem „gigantischen Monster“ gleicht: „Der Staat darf nie eine Krake werden, die das ganze Leben erstickt…“ (Lectures on Calvinism). Was würde er heute sagen, nachdem die Staatsquote sich seither in etwa verfünffacht hat? Ähnlich Emil Brunner gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts: „Die Funktion des Staates ist die Ordnungsschaffung, im Sinn der Befriedung und der Gerechtigkeit. Er schafft den notwendigen Rahmen des Lebens; aber er kann nicht selbst schöpferisch sein. Diese seine Begrenzung hat der moderne Staat mehr und mehr vergessen und versucht, alle Lebensbereiche unmittelbar an sich zu ziehen und zu beherrschen. Im selben Maß, wie er das tat, hat er seine eigentliche Autorität verloren “ (Das Gebot und die Ordnungen, Kap. 36, Abs. 7)

Viele Ethiker fordern heute eine Begrenzung des Staates auf seine eigentlichen Aufgaben, konkret also eine Rückführung. Das heißt dann aber auch gleichzeitig, dass die Steuerlast allgemein vermindert werden muss. Christen sollen Steuern zahlen, aber sie sind auch aufgerufen, sich für deutlich niedrigere Steuersätze und in Verbindung damit reduzierte Aufgaben des Staates einzusetzen. Ja, gebt dem Kaiser (s. Mt 22,21), aber heute wird ihm wahrlich nicht zu wenig gegeben. Christliche Steuerpolitik kann heute nur heißen: dem Kaiser weniger geben.

Thomas von Aquin widmete sich dem Thema in seinem Hauptwerk, der Summa Theologica (STh II-II, q. 66, a. 8). Die Fürsten, „bekleidet mit der öffentlichen Gewalt“, sind „Hüter der Gerechtigkeit“ und haben daher das Recht, mit Zwang Gelder einzutreiben: „Wenn die Fürsten von ihren Untergebenen verlangen, was ihnen gemäß der Gerechtigkeit geschuldet ist, um das Gemeinwohl zu erhalten, so ist das kein Raub, selbst wenn Gewalt angewendet wird. Wenn aber die Fürsten etwas, was ihnen nicht geschuldet ist, mit Gewalt erpressen, so ist das Raub, genau wie jede andere Räuberei… Solche Fürsten müssen zurückerstatten und sündigen schwerer wie die Räuber…“, ja sie sind eine „große Gefahr für das Gemeinwesen“.

Aquin setzt hier dem staatlichen Handeln eine Grenze. Der Staat hat einen Gemeinwohlauftrag, welcher sich an der Gerechtigkeit orientieren muss. Das bedeutet, dass der Staat die Einnahmen aus seinen Aufgaben begründen muss. Er hat, wie wir schon betonten, nachzuweisen, dass nur er diese Aufgaben erfüllen kann und muss. Was darüber hinausgeht, ist echter Raub.

Leider ist der von Aquin genannte Begriff der Gerechtigkeit geradezu vor die Hunde gekommen. Er wird heute fast schon synonym mit Armutsbekämpfung verstanden. Und im Zusammenhang mit Steuern heißt es heute, Gott wolle die Armenfürsorge und daher auch die „Umverteilung im Sinne der Armen“. Wer grundsätzlich Eigentum gegen andere Menschen verteidige und nicht zulasse, dass auch andere von meinem Eigentum abbekommen, der liebe seinen Nächsten nicht. Und deshalb müsse man (hohe) Steuern gutheißen. Wer sich für die deutliche Reduzierung des Steuerniveaus einsetze, sei gegen das Teilen und gegen Solidarität, ja er hätte eine Staatsphobie und würde den Armen jede Hilfe verweigern.

Bei all dem wird etwas Elementares nicht beachtet: Steuern sind – und es sie hier wiederholt, weil eben so oft vergessen – ihrem Wesen nach eine Zwangsabgabe. Es ist tatsächlich moralisch geboten, anderen Menschen abzugeben und zu teilen, doch dies kann – wenn es denn echte Nächstenliebe oder Solidarität im wahren Sinne sein soll – nur freiwillig geschehen. Zur Freizügigkeit gehört Freiheit! Daher darf auch das Prinzip der Allgemeinheit und des Allgemeinwohls nicht nur dem Staat zugeordnet werden. Es ist unbedingt zu beachten, dass der Staat kein Monopol auf „gemeinsame Aufgaben“ hat – sehr viele Gemeinschaftsaufgaben können und sollen auch ohne den Staat ausgeführt werden. Denn noch einmal: der Staat arbeitet mit Zwang.

Wenn also behauptet wird, es sei doch nicht schlimm, dass man (durch Steuern) auch für die Allgemeinheit arbeitet und nicht nur für sich selbst, dann zeugt dies von einem geradezu fatalen Missverständnis. Es ist zu betonen, dass man dem Gemeinwohl und der Gesellschaft nicht erst durch Steuern dient, und auch nicht in erster Linie. Beispielsweise dient ein Unternehmer dem Gemeinwohl hauptsächlich durch seine Produkte, Dienstleistungen und Arbeitsplätze, die er schafft. Kommt das Gemeinwohl erst dann ins Spiel, wenn es ans Zahlen von Steuer geht? Ist nur derjenige dem Gemeinwesen wohlgesonnen, der ohne Murren die höchste Steuerlast erträgt? Das Argument, dass man sich immer für Steuern, ja für möglichst hohe Steuern einsetzen muss, wenn einem das Gemeinwohl am Herzen liegt, ist Unsinn.

Außerdem ist die Vermengung von Steuern und Nächstenliebe in höchstem Maße gefährlich. Natürlich besteht hier eine Art Zusammenhang und zwar in negativer Hinsicht: Wer Steuern hinterzieht, handelt in gewisser Weise lieblos (denn andere müssen dann diese Last übernehmen). Doch Steuern sind eben nicht um der Nächstenliebe wegen da! Denn schon Bastiat hat klar dargestellt: die Brüderlichkeit oder Nächstenliebe kennt keine Grenzen. Hier gibt es kein Zuviel. Trennt man dies nicht klar vom staatlichen Handeln und den Steuern, kommt man schnell zu dieser Schlussfolgerung: um so viel Armut wie möglich zu bekämpfen, um so viel Gutes wie nur möglich zu tun, um so viel Liebe wie denkbar zu verwirklichen, treibe ich so viel Steuern wie möglich ein. Verführerisch heißt es dann: „Steuer gegen Armut“ (gemeint ist die Transaktionssteuer). Wie kann man dagegen sein?! Armut bekämpfen ist doch gut! Doch die Hauptaufgabe von Steuern ist keineswegs, die Armut zu bekämpfen oder zu beseitigen. Wird dies nicht beachtet, kommen wir in die sozialistische Teufelsküche.

Das Eintreten für niedrigere Steuern ist keineswegs als solches schon Kennzeichen von Egoismus – im Gegenteil. Roland Baader: „Lasse du, Staat, den Bürgern ihr Geld, damit sie unseren christlichen Ermahnungen zur persönlichen Nächstenliebe und zur individuellen Hilfsbereitschaft überhaupt noch nachkommen können – und damit sie diese Art des aktiven Christentums überhaupt wieder lernen können.“ (in: Mehr als man glaubt, Hg. Ingo Resch)

Wohlstand umzuverteilen?

Die Steuerfans unter den Christen ziehen nun natürlich gerne eine vermeintliche Trumpfkarte:  die Vorschriften des ATs zum Jubel- und Erlassjahr. Damit wird dann die Umverteilung von Wohlstand – natürlich durch Steuern – gerechtfertigt. Christopher J.H. Wright dazu: „Dem Jubeljahr ging es natürlich nicht, wie manche populären Schriften annehmen, um eine Umverteilung von Land, sondern um eine Wiederherstellung“ (Old Testament Ethics for the People of God). Es ging darum, so Wright, Familien (wieder) die Gelegenheit zu geben, mit persönlichem Eigentum den Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Die tatsächliche Umverteilung von Wohlstand, heute vor allem durch Steuern, muss in diese Vorschriften hineingelesen werden.

Möglichst hohe Vermögens, Erbschafts- und Reichensteuern widersprechen sogar dem Grundanliegen des Jubeljahres: gesichertes Familieneigentum. Natürlich ist einzugestehen, dass das Jubeljahr und andere Vorschriften eine breite Streuung des Eigentums implizieren. Doch wie dieses Prinzip in die – im Vergleich zum antiken Israel – ganz andere Wirtschaftskultur der Gegenwart zu übersetzten ist, erfordert, so Wright, viel „kreatives Denken“. Es ist viel zu billig, die Gebote des ATs hier einfach für die eigene politische Agenda des (linken) ‘Umfairteilens’ in Anspruch zu nehmen.

Die massive Umverteilung durch Steuern ist außerdem schon Realität. In den USA zahlt das reichste Prozent der Bevölkerung 38 Prozent der direkten Steuern. Die obersten fünf Prozent der Steuerpflichtigen in Deutschland zahlen über 40 Prozent am Einkommenssteueraufkommen, die unteren sechzig Prozent kommen für etwa zehn Prozent der direkten Steuern auf. (Indirekte Steuern sind in der Natur der Sache nicht genau einer bestimmten Einkommensgruppe zuzuordnen.) Eine Mehrheit der deutschen Gesamtbevölkerung beteiligt sich so gut wie nicht an direkten Steuern.

Montesquieu hatte schon verstanden: „Keine Frage des staatlichen Handelns ist so weise und nüchtern zu untersuchen wie die Frage, welchen Anteil des Wohlstands den Bürgern genommen werden soll und welchen Teil man ihnen belässt. Einnahmen des Staates dürfen nicht daran gemessen werden, was das Volk geben kann, sondern vielmehr daran, was es  geben muss.“ Orientiert man sich am „kann“, so kann und wird er immer und immer mehr nehmen. Der Bürger soll deshalb nur das geben, was der Staat für die Erfüllung seiner eigentlichen Aufgaben benötigt. Sieht der Staat jedoch seine Aufgabe darin, möglichst Vielen möglichst viel Gutes zu tun und konkret den Reichtum gerecht an alle zu verteilen, geht er also weit über die Schaffung eine Rahmenordnung hinaus, so wächst die Steuerlast immer weiter. Mit christlichen Prinzipien hat dies nichts mehr zu tun.