Der widerwillig Bekehrte

Der widerwillig Bekehrte

Vor einigen Tagen jährte sich der Todestag von C.S. Lewis zum 50. Mal. Der Nordire, der jahrzehntelang englische Literatur und Philosophie in Oxford und Cambridge unterrichtete, verstarb am 22. November 1963. Lewis gilt als einer der meistgelesenen christlichen Autoren und einflußreichsten Christen des 20. Jahrhunderts. Bekannt machten ihn zuerst seine apologetischen Schriften, angefangen mit dem Problem des Schmerzes (The Problem of Pain, 1940), es folgen Bestseller wie Wunder (Miracles, 1947) und sein bekanntestes Werk Pardon, ich bin Christ (Mere Christianity, 1952.  1999 brachten wir im Rahmen von projekt L. / Neues Leben Medien die litauische Übersetzung Tiesiog krikščionybė heraus). Beliebt wurde Lewis aber vor allem durch sein erzählerisches Werk wie die Chroniken von Narnia (The Chronicles of Narnia, 1950–56), die nun nach und nach auch verfilmt werden.

Lewis hat nie Theologie studiert und immer betont, dass er ein einfacher Laie der Kirche von England war. Man darf daher auch keine systematische Glaubenslehre von ihm erwarten. Fundierte Exegese war nicht sein Ding, und manche wichtigen Fragen wie die Deutung des Kreuzestodes oder die Autorität der Bibel lies er weitgehend offen – kaum befriedigend für viele theologisch Konservative. Umso mehr überrascht, wie scharf und präzise einige grundlegende theologische Probleme von Lewis erkannt und ‘übersetzt’ wurden.

Als Beispiel sei hier nur die Frage Wie wird man Christ? genannt, der sich Lewis in seiner Autobiographie Überrascht vor Freude (Suprised by Joy, 1955) ausführlich widmete. Auf der einen Seite beschreibt sich Lewis dort in seiner geistlichen Entwicklung nicht als passiv. Schon als Jugendlicher wandte er sich bewußt vom christlichen Glauben ab; der Horror des Ersten Weltkriegs, den Lewis im Schützengraben selbst miterlebte, verfestigte seinen Atheismus nur. Er schildert recht genau, was er laß, wessen Einflüssen er sich öffnete, welche Positionen er vertrat, wie er seine Weltanschauung änderte.

Interessant ist jedoch, dass auf der anderen Seite der Grundtenor in dem Buch nicht er, Lewis, auf der Suche nach Gott, sondern vielmehr Gott auf der Suche nach ihm ist – Gott war hinter ihm her (diesen Gedanken betonte auch John Stott an mehreren Beispielen zu Beginn seines Why I Am A Christian). Mit zahlreichen Bildern unterstreicht Lewis dies. Gott nennt er „den große Angler“, der ihn, den zappelnden Fisch, an Land holt. Gott drängte ihn in die Enge, wie in einem Schachspiel. Das vorletzte Kapitel heißt nicht zufällig „Schachmatt“: „Auf dem ganzen Brett standen meine Figuren in den unvorteilhaften Stellungen. Bald konnte ich mir nicht einmal mehr die Illusion machen, die Initiative läge bei mir. Mein Gegner begann mit seinen abschließenden Zügen.“ Er vergleicht sich mit einem Fuchs, aus dem Wald vertrieben, der nun übers freie Feld rennt.

Ein weiteres vielsagendes Zitat mit einem genialen Bild: „Liebenswerte Agnostiker reden immer so fröhlich von der ‘Suche des Menschen nach Gott’. Aus meiner damaligen Sicht hätten sie genausogut über die Suche der Maus nach der Katze reden können.“ Sünder nach dem Fall sind Mäuse, die von der Katze, Gott, nichts wissen wollen, von ihr weglaufen – was denn sonst!

Als Atheist sah sich Lewis gezwungen, ganze Bereiche der Wirklichkeit auszugrenzen. Im Zusammenhang der Schrecken des Krieges spricht er ein erstes Mal von einem „Vertrag mit der Wirklichkeit“. So erschuf er sich eine Möglichkeit, unangenehme, seine Weltanschauung in Frage stellende Aspekte der Realität zu ignorieren; eine geschützte Region, in der er der Herr blieb. Das Christentum sah er dagegen als „transzendenten Einmischer“. Und mit großer Schärfe umschreibt er das Grundproblem des gefallenen Menschen: „Wenn sein [des Christentums] Bild vom Universum richtig war, dann konnte keinerlei ‘Vertrag mit der Wirklichkeit’ je möglich sein. Es gab nirgendwo eine Region, nicht einmal in den innersten Tiefen der eigenen Seele (nein, dort am allerwenigsten), die man mit einem Stacheldrahtzaun umgeben und mit einem Schild ‘kein Zugang’ versehen konnte. Aber das war, was ich wollte…“

Lewis schildert seine Umkehr zu Gott äußerst nüchtern, ohne jeden Triumphalismus. Worauf will er auch stolz sein? Er wollte ja in gewisser Hinsicht noch nicht einmal Christ werden. „Die Wirklichkeit, mit der sich kein Vertrag schließen läßt, hatte mich eingeholt“, so Lewis. Weglaufen zwecklos. Das berühme Zitat, Höhepunkt des Buches: „Was ich so sehr fürchtete, hatte mich eingeholt. Im Trinity Term 1929 lenkte ich ein und gab zu, daß Gott Gott war, und kniete nieder und betete; vielleicht in jener Nacht der niedergeschlagenste und widerwilligste Bekehrte in ganz England.“

Große Wahrheit in bildreichen Worten: getriebener Fuchs, gejagte Maus, gefangener Fisch, hereinbrechende Wirklichkeit, sich einmischender Glaube und ein Gott, der unsere Stacheldrahtzäune der Seele durchschneidet – es ist wahrlich der Schöpfer des Universums, der Sünder zu seinen Kindern macht, auch gegen Widerstände. Wenn wir denn das Gleichnis vom verlorenen Sohn als Paradebeispiel der Umkehr des Menschen benutzen wollen, dann sollte auch Lewis gehört werden, der daran anknüpft: „Der verlorene Sohn ging wenigstens auf seinen eigenen Füßen nach Hause. Doch wer könnte jene Liebe gebührend anbeten, die die hohen Tore einem Abtrünnigen öffnet, der um sich tretend, sich windend, trotzig und in allen Richtungen nach einer Chance zur Flucht Ausschau haltend hereingebracht wird?“

Dennoch hatte Lewis nicht den Eindruck, dass Gott ihn zu etwas gezwungen hätte. Ein sehr wichtiges Erlebnis bei einer Busfahrt schildert er so:
„Das Merkwürdige war, daß ich, bevor Gott mich einholte, sogar etwas geboten bekam, was heute wie ein Moment der vollkommen freien Wahl erscheint. In einem gewissen Sinne jedenfalls. Ich fuhr oben auf einem Bus den Headington Hill hinauf. Ohne Worte und (ich glaube) beinahe ohne Bilder wurde mir irgendwie eine Tatsache über mich selbst präsentiert. Mir wurde bewußt, daß ich etwas auf Abstand hielt oder etwas aussperrte. Oder, wenn Sie so wollen, daß ich irgendeine steife Kleidung trug, wie ein Korsett oder gar eine Rüstung, als wäre ich ein Hummer. Ich spürte, wie mir dort und in diesem Moment eine freie Wahl angeboten wurde. Ich konnte die Tür öffnen oder verschlossen lassen; ich konnte die Rüstung ablegen oder anbehalten. Keiner der Alternativen wurde mir als Pflicht dargestellt… Ich entschied mich, aufzumachen, die Rüstung abzulegen, den Zügel zu lockern. Ich sage ‘ich entschied mich’, doch es schien eigentlich gar nicht möglich zu sein, das Gegenteil zu tun.“

Das innerliche Öffnen erschien Lewis als ganz freie Wahl; auf eine andere Art war er aber nicht frei, denn der letzte Satz macht ja deutlich, dass er sich auch von einer Art göttlichen Notwendigkeit ergriffen sah.

Lewis nähert sich damit Martin Luther an, der unter den Reformatoren durch den Bildreichtum seiner Sprache herausstach und der ähnlich wie der Brite auch als großer Übersetzer des Glaubens gelten kann. In Vom unfreien Willen (1525) vergleicht Luther den Menschen mit einem Reittier, das in jedem Fall geritten wird – entweder vom Teufel oder vom Menschen. Das Tier folgt dem Reiter, hat also letztlich keinen freien Willen in Fragen des Heils. Die Reiter selbst, so Luther, kämpfen um den Besitz des Tieres. Fisch, Maus, Fuchs bei Lewis und hier wiederum ein Tier. Dadurch wird eigentlich nicht so sehr die Passivität des Menschen als vielmehr die Aktivität Gottes unterstrichen.

In theologischer Sprache drückte Luther dies in seinem Kleinen Katechismus aus. In der Erklärung zum Dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses heißt es: „Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft und Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten…“ Wird der erste Teil auf sein Grundgerüst reduziert, klingt es paradox, aber biblisch: „Ich glaube, dass ich nicht… glauben kann“ (s. Mk 9,24!). Genau dieses tiefe Geheimnis wurde von Lewis in neue Worte gefaßt.

Lewis berührt hier natürlich das Verhältnis von menschlicher Freiheit und göttlicher Souveränität. Um dies besser zu verstehen, haben christliche Denker schon sehr früh über Analogien, d.h. also Ähnlichkeiten, Entsprechungen, nachgedacht. Eine Analogie finden wir z.B. in der Bibel selbst: Gott ist der Töpfer und wir der Ton (Röm 9, auch in Jesaja und Jeremia). Corrie ten Boom gebrauchte in ihren Vorträgen gerne eine ähnliche Analogie, die des Webers: Gott webt den Teppich unseres Lebens – mit dunklen (Leid, Schmerz und Trauer) und goldenen Fäden (Freude, Glück und Segen), doch wir sehen nur die verwirrende Unterseite des Teppichs. Erst am Ende des Lebens, in Ewigkeit bei Gott, werden wir den Teppich und sein schönes Muster, zu dem alle Fäden gehören, sehen.

In Überrascht vor Freude nennt Lewis eine weitere Analogie: der Autor und die Figuren in der von ihm geschaffenen Geschichte. Der Autor entspricht dabei natürlich Gott. Er hat, wie Gott, völlige Kontrolle über die Charaktere in seiner Geschichte – alles ist seine Schöpfung. Auf der anderen Seite haben die Figuren der Geschichte ein Eigenleben – sie sind in der Geschichte selbst völlig frei. In der Geschichte hat alles zwei Ursachen: eine Ursache in der Handlung des Romans, der Erzählung selbst; eine andere auf einer anderen Ebene, denn die letzte Ursache für alles ist natürlich der Autor selbst, der alles in Geschichte ins Leben ruft und die Handlung konstruiert. Diese Ursachen befinden sich nur auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Lewis: „Wenn Shakespeare und Hamlet sich je begegnen sollten, dann mußte es auf Shakespeares Betreiben hin geschehen. Hamlet konnte nichts initiieren.“ Shakespeare „könnte sich im Prinzip selbst als Autor innerhalb des Stückes auftreten lassen und einen Dialog zwischen Hamlet und sich selbst schreiben“. Lewis sieht hier eine Parellele zur Inkarnation. In Jesus Christus kam Gott auf die Erde, war gleichsam Teil unseres menschlichen Stückes und auch wieder außerhalb dessen (weil eben nicht nur Geschöpf).

Auch in einem Essay in Gott auf der Anklagebank benutzt Lewis dieselbe Analogie: „Im ‘Hamlet’ bricht ein Ast, und Ophelia ertrinkt. Mußte sie sterben, weil der Ast brach, oder weil Shakespeare wollte, daß sie an diesem Punkt des Dramas stirbt? Die eine oder die andere Erklärung ist richtig – oder beide – oder welche Sie wollen. Die Alternative, die uns von der Frage aufgedrängt wird, ist überhaupt keine echte Alternative – wenn man einmal begriffen hat, daß es Shakespeare ist, der das ganze Drama geschaffen hat.“

Das Bild des „göttlichen Dramas“ wurde auch von Lewis Freund J.R.R. Tolkien und Dorothy Sayers gebraucht, nicht zufällig alle Schriftsteller. Es geht wohl auf Johannes Calvin zurück, der die Welt in seiner Insitutio „erhabenes Schauspiel“ oder Theater Gottes bezeichnet (lat. theatrum; s. z.B. I,5,8; 1,14,20; II,6,1; ausführlicher s. auch With Calvin in the Theater of God, ed. John Piper, David Mathis, im Internet hier frei herunterzuladen). Wir sind ausführende Charaktere, wir spielen eine Rolle in einem großen Drama, dass irgendwie schon aufgeschrieben ist, von außerhalb oder ‘oben’ kontrolliert wird. Lewis, eigentlich gar kein Calvinist und von nicht wenigen calvinistischen Apologeten wie Cornelius Van Til, Zeitgenosse Lewis, sehr skeptisch beurteilt, hat in seinen Worten eine zutiefst reformatorische Sicht der Bekehrung überliefert.