Was macht den Dienst in Litauen immer noch interessant?

Was macht den Dienst in Litauen immer noch interessant?

Anfang der 90er Jahre roch es auch in Litauen nach Erweckung. Alles Christliche war nach Jahrzehnten Atheismus weitgehend neu; Evangelisationsveranstaltungen waren gut besucht; neue Gemeinden und Kirchen wurden gegründet – im Vergleich zu den 80er Jahren vervielfältigte sich die Zahl der protestantischen Gemeinden. Es herrschte Aufbruchsstimmung.

Heutigen Besuchern, über zwanzig Jahre später, bietet sich oftmals ein ganz anderes Bild: schrumpfende Mitgliedszahlen; kaum evangelistisches Feuer; überforderte und überarbeitete Geistliche; manche kehren in den Schoss der katholischen Kirche zurück; wenig Visionen für die Zukunft. Aufbruchsstimmung? Fehlanzeige.

Tatsächlich haben viele protestantische Kirchen Litauens mit Stagnation zu kämpfen, und ernste Probleme gibt es genug. Doch in anderen Hinsichten gibt die geistliche Lage durchaus Grund für Hoffnung – so manchem Schein zum Trotz. Drei miteinander verbundene Dinge wollen wir hier kurz nennen.

Anders als in vielen Ländern im Westen sind die kirchlichen Strukturen und Traditionen in Litauen nicht so verfestigt. In Deutschland hat man oft den Eindruck, dass jede christliche Strömung oder Subkultur ihr ganz eigenes Leben führt; alles passt immer in eine extra-Schublade. Hier die erwecklichen Pietisten, dort die Friedens- und Gerechtigkeitsbewegten, hier die „Willow“-Fans und dort die Aussiedlergemeinden. Man weiss, wo und wofür jeder steht; ‘Grenzverletzungen’ sind selten.

In Litauen dagegen herrscht eine dynamische Offenheit vor. Unsere reformierte Kirche z.B., wahrlich nicht erwecklich und theologisch auch nicht wirklich konservativ geprägt, begibt sich nun bewußt auf einen klaren biblischen Kurs. So wurde z.B. 2013 ein kirchenrechtlicher Beschluss zu Ehe und Scheidung gefasst, der mit einer eingefahrenen falschen Tradition bricht; die klassische protestantische Position, von der sich z.B. die EKD-Kirchen schon lange verabschiedet haben, wird erneut bekräftigt. Ausgerechnet diese Kirche – mit einem eher durchwachsenen Erbe, von manchen auch als „liberal“ verschrien – ist nun wohl die erste evangelische in Litauen, die in diesen wichtigen und sensiblen Fragen konkrete und eindeutige Antworten vorlegt!

Auch auf der Internetseite dieser Kirche wurde die „Chicagoer Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel“ gestellt. Nicht vorstellbar, dass eine der deutschen oder schwedischen Partnerkirchen dieses ja als fundamentalistisch gebrandmarkte Dokument veröffentlichen würde. Wer sich in Deutschland klar zur Irrtumslosigkeit bekennt, hat Probleme, an einigen pietistischen Seminaren einen Job zu bekommen (von theologischen Fakultäten ganz zu schweigen) und muss sich auf harsche Kritik von so manchen christlichen Leitern gefasst machen. Selbst in vielen frommen Kreisen verschafft so eine Position keine Freunde. Natürlich ist „Fundamentalismus“ auch in Litauen kein Kompliment. Doch hier wandert man eben nicht gleich in eine Schublade, wird nicht gleich mit einem Etikett beklebt und kann klare Positionen mutig und offen vertreten – und unerwartete Kursänderungen sind möglich.

Schon mehrfach auf diesen Seiten haben wir darauf hingewiesen: Trotz christlicher Prägung, trotz über 80% nomineller Christen, trotz Kreuzen an jeder Ecke und einem ganzen „Berg der Kreuze“ bei Šiauliai – das Evangelium in seiner Reinheit, Tiefe und Schärfe, die Gute Nachricht mit dem Kreuz Jesu im Zentrum ist in Litauen erschreckend wenig bekannt. Sicher ist es nicht mehr möglich, mit simplen Floskeln die Aufmerksamkeit der Menschen zu gewinnen. Um Interesse zu wecken, müssen Christen ihre Hausaufgaben machen, biblisch, kreativ und zeitgemäß evangelisieren. Massen gewinnt man so nicht, denn das Angebot an anderen Göttern ist groß. Aber immer noch findet das unverfälschte Evangelium überraschend viel Gehör. So arbeitet LKSB seit 2012 mit dem Glaubenskurs „Christsein entdecken“ (Christianity explored) – nichts anderes als eine klare Darlegung des Evangeliums entlang von Bibelabschnitten. Einige der Gruppen, die sich für den siebenwöchigen Kurs versammelten, kamen durch Initiative von Nichtgläubigen zustande! Es ist ganz ähnlich wie bei Paulus in Athen (Apg 17): viele spotten, aber einige sind offen und sagen: „Über dieses Thema wollen wir… mehr erfahren.“ (V. 32)

Was schließlich drittens begeistert, ist eine erstaunliche Offenheit Neues zu lernen, vor allem aus der Bibel. Ob es nun am EBI oder in der örtlichen Gemeinde, ob nun Pastoren oder einfache Mitglieder – der Hunger nach dem erläuterten Wort Gottes ist gross. Bibelausgaben sind nun zugänglich, aber wer schließt die biblischen Schätze auf? Erklärt den Inhalt biblischer Bücher und die Heilsgeschichte, theologische Themen und ethische Probleme?

Auch in der Gesellschaft allgemein gilt, dass in Weisheit vorgetragene biblische Positionen beachtliches Gehör finden können. Die Vertreter der katholischen Kirche sind in der Öffentlichkeit gut präsent. Aber sie argumentieren dort z.B. auch in ethischen Fragen nur selten biblisch. Gut begründete und in die heutige Zeit hinein gesprochene biblische Postionen haben Seltenheitswert. Dies ist eine Art Marktlücke, die in Litauen die Evangelischen ausnutzen müssen und können. Und es ist möglich! Ende 2007 nahm Holger an dem Autorenwettbewerb der Wochenzeitschrift „Atgimimas“ teil. Das Thema: „Schenk Litauen eine Vision!“ Sein mit Bibelzitaten gespickter Text gewann den zweiten Platz (ein erster wurde nicht vergeben). Bei der Preisverleihung im Januar 2008 sprach Hauptsponsor und Mitinitiator Robertas Dargis, einer der wichtigsten Bauunternehmer der Landes und 2012 zum Präsidenten des Litauischen Industrieverbandes gewählt. Er äußerte sich geradezu begeistert über Holgers Text, weil dort aktuelle Fragen aus biblischer Perspektive beleuchtet wurden. Dies war schlicht und einfach ganz neu für ihn. – Litauen braucht noch viel mehr intelligent, einfühlsam, aber auch klar und ohne falsche Kompromisse vorgetragene biblische Antworten.